Gestern wurde Honduras Präsident, Manuel Zelaya, durch das Militär festgenommen und nach Costa Rica überführt. Erste internationale Reaktionen sind einstimmige Verurteilung durch die Weltgemeinschaft und sehr aufgeregte, schrill protestierende Amtskollegen (Chávez, Correa, Ortega, Castro, Morales). Es ist der Höhepunkt einer sich schon seit einiger Zeit zuspitzenden Staatskrise. Präsident Zelaya, Großgrundbesitzer und Mitglied des Partido Liberal (PL) hatte gegen einstimmigen Widerspruch von Parlament, Oberstem Gerichtshof, Staatsanwaltschaft und Militärführung das Abhalten eines Referendums angestrengt, das die erneute Wiederwahl durch Verfassungsänderung ermöglichen sollte. Die Absetzung des Generalstaabschefs Gen. Vásquez Velásquez durch den Präsidenten der vergangenen Woche, weil sich erster geweigert hatte, die Streitkäfte zur Durchführung des Referendunms bereitzustellen, solange sich die übrigen demokratischen Institutionen dagegen aussprachen, führte zur Eskalation.
Inhalt, Geist und Durchführung des Referendums waren auf breite Ablehnung gestossen und wurden durch die übrigen Staatsgewalten und protestierende Bürger abgelehnt. Leitgedanke und Wortlaut der Verfassung schliesst ein solches Vorhaben aus. Der Oberste Gerichtshof stellte die Unrechtmässigkeit der Absetzung des Generalstabschefs fest und ordnete die Wiedereinsetzung ein, während sogar die eigene Partei des Präsidenten ihm die Unterstüzung in dieser Sache verweigerte.
Als Zelaya die für Sonntag angesetzte Durchführung des Referendums auf eigene Faust und somit bei Durchführung und Auswertung bar jeder nachvollziehbaren Objektivität und folglich wertlosen Ergebnissen durchzuführen gedachte, beauftragten die Obersten Richter das honduranische Militär mit der Entfernung Zelayas aus dem Amt.
Der Kongress bestätigte einstimmig die Absetzung Zelayas und übertrug - wie verfassungsgemäss vorgesehen - dem Parlamentspräsident die provisorische Regierungsgewalt bis zum turnusmäßigen Ende der Amtszeit des Präsidenten Anfang 2010 (Wahlen werden im November abgehalten). Anhänger Zelayas protestieren auf den Strassen, die Intensität und das Ausmaß der Proteste scheint nicht überwältigend zu sein und verläuft zum Zeitpunkt dieses Beitrages begrenzt und unblutig. Bemerkenswert ist an der ganzen Angelegenheit, dass sämtliche demokratischen Institutionen die Absetzung Zelayas unterstützen - etwas, das üblicherweise nicht mit dem Begriff "Putsch" in Verbindung gebracht wird. Während der Interimspräsident Roberto Micheletti eine nächtliche Ausgangssperre verhängte und die Bürger zur Ruhe aufrief, trafen sich die Regierungschefs und Gesandten des von Venezuela initiierten (und dominierten) ALBA in Nicaragua zur Krisensitzung. Zuvor hatte Hugo Chávez in deutlicher aber völlig unpassenden Art die Absetzung Zelayas verurteilt und mit militärischer Intervention gedroht, sollte sein Freund nicht umgehend wieder in sein Amt eingesetzt werden (Antwort der hond. Regierung). Vergessen wir nicht, dass Chávez stets allein schon ausländische Kritik an seiner eigenen Führung als Beleidigung der nationalen Souveränität und ingerencia (Einmischung) übelster imperialistischer Strömungen zu bezeichnen pflegt und 1992 selbst einen Putschversuch (!) anführte, um eine - zwar unbeliebte und überforderte - aber gewählte Regierung zu stürzen.
Auf der ALBA-Konferenz schlugen die jeweiligen Vertreter und auch Chávez etwas weniger martialische Töne an, drückten aber ihre Absicht aus, die Rebellion gegen die provisorische Regierung unterstützen zu wollen. Die honduranische Zeitung La Prensa berichtete heute über möglicherweise durch eingeflogene venezolanische Agitatoren angefachte Zusammenstöße und Gewaltakte. Mal abgesehen von der Unerhörtheit der Interventionsdrohung ist Venezuela militärisch nicht für die Invasion eines nicht unmittelbar angrenzenden Landes ausgestattet. Die reichlichen Waffenkäufe der letzten Jahre dienen vor allem dem Einsatz im Inland (qui bono?)...
Unabhängig davon, ob Zelayas Absetzung als Putsch oder verfassungskonforme Entfernung aus dem Amt verstanden wird (persönlich in honduranischer Politik nicht bewandert, aufgrund der letzten Umfrageergebnisse von lediglich 30% Unterstützung Zelayas, jedoch im Moment letzteres nicht ausschliessend), ist aus den Geschehenissen in Honduras und den gestrigen Wahlergebnissen der argentinischen Parlamentswahlen ein starker Rückschlag für populistische Regierungen zu erkennen. Manche beschreiben Zelayas politische Einkreisung derart, dass es keneswegs eines Putsches bedurft hätte, um die Verfassungsmässigkeit zu gewährleisten (z. B. Venezuelas einflussreicher Meinungsbildner Teodoro Petkoff in seiner Kolumne).
Zwar entstammt Zelaya eher nicht dem üblichen linkspopulistischen Bereich (sondern dem liberalen Sektor), hat aber immer stärker Züge und Gebahren seines offensichtlichen Vorbilds, des Anführers des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", Hugo Chávez angenommen. Der Vorschlag zur Verfassungsänderung, um dem Präsidenten die wiederholte (respektive: unbegrenzte) Wiederwahl zu ermöglichen kennzeichnet auch ein wichtiges Element des venezolanischen Populismus. Grundsätzlich mag die unbegrenzte Wiederwahl in einer starken Demokratie durchaus denkbar und ohne institutionellen Schaden möglich sein, wegen der lateinamerikanische Tendenz zum caudillismo allerdings, haben nicht ohne Grund in vielen süd- und mittelamerikanischen Ländern die Autoren der Verfassungen diese Gefahr durch den Ausschluss einer unbegrenzten Wiederwahl einzudämmen versucht.
Und noch eine Hiobsbotschaft mag die Populisten des Kontinents beunruhigen:
Argentiniens Kirchners haben in den Parlamentswahlen eine herbe Niederlage erlitten. Die Mehrheit in beiden Parlamentskammern liegt nun in den Händen der politischen Gegner. Zuletzt hatte sich die politische Verbündete der venezolanischen Staatsführung, Cristina Fernández de Kirchner, im stark auf Landwirtschaftsexporte angewiesene und sehr unter der weltweiten Finanzkrise leidenden Land durch exporthemmenden Massnahmen unbeliebt gemacht.
Die auffällig starke und alarmierte Reaktion Hugo Chávez' auf die Vorgänge in Honduras unter dem Eindruck des Rückzugs des ähnlich populistischen Kircher-Peronismus' in Argentinien könnten in zweierlei Hinsicht den ruhigen Schlaf des comandante stören: Die betrachteten populistisch orientierten politischen Projekte sind aus dem inneren bedroht, wenn sie in der Wirtschaftskrise unzulänlgich sind (Argentinien) oder wenn eine breite institutionelle Ablehnung autokratischer Tendenzen die Ablösung fordert (Honduras).
Freilich war Chávez in dieser Hinsicht während der letzten Jahre nicht untätig. Er hat nach dem Beinahe-Ende seiner Regierung durch den Staatsstreich 2002 und den landesweiten Generalstreiks 2002/03 systematisch die jeweiligen Insititutionen zugunsten seines Machterhalts umgeformt. Die politische Säuberung der Führung PDVSAs, des grössten Geldbringers der Staates und die umfassende personelle (eher auf Loyalität als auf Qualifizierung basierte) Neubesetzung vieler Schlüsselposten in allen Bereichen, allen voran: dem militärischen Oberkommando (welches durch stark fragmentierte Kompetenzverteilung heutzutage verstümmelt ist) sollen umstürzlerische Gefahren aus diesen Institutionen verhindern. Dass ein überwiegend chavistisches Durchwinkparlament wegen des Wahlboykotts der Opposition seit 2006 ihm dabei sehr gelegen kam (daraufhin "Loyalisierung" der Judikative), muss nicht weiter erläutert werden und mag darauf hindeuten, dass der institutionell-formale Machtwechsel à la Honduras für Venezuela weniger wahrscheinlich sein könnte als ein durch die sich schnell verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen angetriebener.
Im Zusammenhang mit der Degeneration der demokratischen Institutionen durch die sog. Revolution, die ich in diesem Beitrag andeutete, gestatte ich mir, auf die heutige Aufforderung venezoanischer Rechts- und Politikgelehrter zur "reconstitucionalización" der staatlichen Institutionen hinzuweisen.
Montag, 29. Juni 2009
Mittwoch, 24. Juni 2009
Revolución, Globovision und kaputte Institutionen
In den letzten Tagen leidet Venezuelas letzter freier und offen oppositioneller Sender, Globovision, unter dem wachsenden Druck der durch Hugo Chávez in Bewegung gesetzten staatlichen Stellen. So laufen mittlerweile Untersuchungen in verschiedenen Fällen von "Unregelmässigkeiten". Auf diese werde ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, da sie für den Inhalt dieses Beitrags nebensächlich sind. Ausserdem wurde im Juni 2009 ein Steuernachzahlungsebscheid erlassen für angeblich nicht angegebene und versteuerte Überlassung von Sendezeit an oppositionelle politische und andere Organisationen im Rahmen der dreitägigen Absetzung des Präsidenten in 2002 und dem landesweiten Generalstreik 2002/03, zzgl. Ordnungsgeld und Zinsen (insgesamt ca. US$ 4 Mio.). Verschiedene Regierungsvertreter und Parteigänger des Regimes rufen immer lauter nach einer Schließung der Sendeanstalt (mehr zur offiziellen Sicht auf die Meinungsfreiheit in diesem Artikel).
Unabhängig davon, ob dieses Vorgehen gegen Globovision begründet und zulässig ist, offenbart sich hier stellvertretend der weitere Zerfall der Institutionen Venezuelas.
Vielleicht sollte die Perspektive etwas erweitert werden. Die Grundlagen der politischen und gesellschaftlichen Ordnung insgesamt und die unter "Institutionen" zusammengefassten expliziten und impliziten Normen der sozialen Wirklichkeit eines vermeintlich demokratischen Systems erfahren eine ungünstige Beeinträchtigung. Unter dem in der Verfassung u. a. in Artikel 2 definierten demokratischen Charakter der Republik und dem wiederholten Anspruch des Regimes, "die demokratischste Nation des Kontinents" zu sein (poder popular, soberanía und participación sind nur einige der ständig bemühten Schlagworte), ist der Zweck staatlichen Handelns zum Wohle und im Interesse seiner Bürger anzunehmen.
Institutionen, die dieser Gleichschaltung entgegenstehen werden mit der vollen Wucht des Apparates bedrückt (z. B. Globovision, La Verdad, Universitäten, oppositionelle Länderregierungen) oder durch umfassende personelle Neubesetzungen (PDVSA ab 2003, "autonome" Institute des Staates) auf den ideologischen Kurs gebracht. Die Günstlinge hingegen sind dem Revolutionsführer (Parallele zum Iran beabsichtigt) treu ergeben, nicht unbedingt, weil sie das obskure politische Konzept teilen, sondern weil es in erster Linie Geld, Macht, Verwirklichung, einen Teil am Kuchen für sich selbst und die seinen bedeutet. Dies war tendenziell schon immer so in Venezuela, ist aber in den letzten zehn Jahren nicht besser geworden. Nicht umsonst ist aus der revolución bolivariana des geflügelte Wort der robolución bolivariana geworden (von robar: stehlen, klauen, rauben). Die vorangegangene paktierte Demokratie hat wenigstens eine gewisse Rotation und gegenseitige Kontrolle bedeutet, die zwar eine "Schattenrendite" abwerfen musste, extremste Missbräuche aber durch den gegenseitigen Neid begrenzen konnte. Neu ist die unerbittliche Verfolgung von Günstlingen oder Verbündeten, die der Revolution den Rücken kehren (z. B. General Baduel, Ismael García) oder sich nicht stromlinienförmig genug verhalten. Wie wenig ist der Revolution die Integrität selbst der grundlegendsten Institutionen wert, wenn eine Regierung ständig im Staatsfernsehen Mitglieder des gegnerischen polischen Lagers, darunter demokratisch gewählte Gouverneure und Bürgermeister, als Schuft, Mafioso, Verrückter, Bandit, Terrorist bezeichnet? Wer von einer jeweiligen Mehrheit ins Amt gewählte Gouverneure als Faschisten und Putschisten bezeichnet, beleidigt gleichzeitig jeden einzelnen seiner Wähler und aberkennt die Unantastbarkeit und höchste Autorität des in der Wahl ausgedrückten Volkswillens. Die völlig unangebrachten Attacken ad hominem belegen die mangelnde Fähigkeit (mindestens den mangelnden Willen) zur sachlichen Auseinandersetzung. Wie lästig erscheint der Revolution also der Mechanismus der demokratischen Legitimation jeglicher Regierungsgewalt, wenn sie nicht einen Kandidaten der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas zum Amt verhilft (siehe Gauleiter von Caracas)? Wie viel versteht Chávez von der Rolle freier Medien, wenn er Sendern mit Schließung droht, sofern sie ihr redaktionelles Konzept nicht ändern? Wie unabhängig der res publica verschrieben sind Organe, die auf präsidialen Zuruf (ohne verfassungsmässige Weisungsbindung) in Aktion treten?
Nachdem dem größten und ältesten privat geführten Sender, RCTV, 2007 die Rundfunksendekonzession nicht verlängert wurde (über Kabel noch verfügbar) und die anderen Privatsender sich mehr auf ihr Unterhaltungsprogramm statt auf kritische Berichterstattung konzentrieren, nur um ähnlichen Repressalien zu entgehen und nicht etwa, weil es nichts zu kritisieren gäbe, bleibt Globovision der einzige noch freie Privatsender (Die Frequenz von RCTV wurde einem weiteren landesweiten Staatssender übertragen, TVes). Wenn freie Medien, selbst wenn sie einseitig und grundsätzlich regimefeindlich und oppositonsfreundlich berichten, ein für eine offene Demokratie notwendiges Element sind, dann ist Globovision sein letzte Vertreter im TV mit erstaunlich beschränkter Rundfunksendereichweite. Welche Plattform könnte die nicht-chavistische politische Landschaft also sonst noch darstellen, wenn die von der Regierung kontrollierten Staatssender ausschliesslich chavistische Hardline-Propaganda verbreiten? Wieso verfolgen chavistas einfersüchtig mögliche Verletzungen der Ley de Responsabilidad Social en Radio y Televisión (Ley Resorte) bei Globovision und RCTV, während angezeigte Übertretungen durch das "Enthüllungsmagazin" La Hojilla im Staatssender VTV (z. B.) nicht verfolgt werden, wenn nicht, weil zuständige Institutionen dysfunktional sind?
Globovisions Senderreichweite auf der öffentlichen Frequenz von Kanal 33 ist lediglich auf den Großraum Caracas und wesentliche Teile des Bundesstaates Carabobo beschränkt. Globovision ist also ein Reginalsender. Im restlichen Teil des Landes ist es nur durch Kabel-Abonnement zu empfangen. Es ist auf den ersten Blick verwunderlich, dass ein solch beschränkter Sender alltägliches politisches Thema bleibt und viel revolutionären Atem und politische Ressourcen beansprucht. Leider liegen keine verlässlichen Daten vor, aber im Gegensatz zu den landesweit auf den öffentlichen Frequenzen empfangbaren Staatssendern scheint sich Globovision selbst unter bekennenden chavistas großer Beliebtheit (Notwendigkeit?) zu erfreuen. Dass gerade in den Sendebereichen Globovisions, Caracas und Carabobo, bei den letzten Regionalwahlen die Opposition gewann, ist sicherlich kein Zufall. Hiermit beantwortet sich möglicherweise auch die Frage nach dem qui bono? einer Schließung des Senders (noch vor den Parlamentswahlen)...
Die Bevölkerung in den weniger urbanen Teilen des Landes, besonders die Ärmsten, haben also keinen wirklichen Zugang zu Globovision und erhalten Informationen über die landesweit sendenden und dem revolutionären Dogma verpflichteten Staatssendern oder von der Regierung abhängigen Regionalsendern.
Gleichzeitig hat das Regime einen anderen Zusammenhang zu befürchten, der die Wahl der Methode zur Beseitigung von Globovision erklären könnte: Nachdem 2007 der populäre Sender RCTV seine Sende-Erlaubnis verlor und große Teile der Bevölkerung dies als de facto Schliessung auffassten (und auch Revolutionären entging nun das beliebte Unterhaltungsprogramm), lehnte die Mehrheit der Bevölkerung in einem Volksentscheid Ende des selben Jahres die von Chávez vorgeschlagenen umfassenden Änderungen der Verfassung ab. Damit diesmal nicht der Eindruck einer verordneten Schließung samt Wahlhandicap entsteht, wird das Mittel der wirtschafltlichen Strangulation gewählt. Die von Steuerbehörden und Rundfunkaufsicht geforderten Nachzahlungen, Ordnungsgelder und Untersuchungen sind geeignet, den Sender inoperabel zu machen ohne eine Schließung dekretieren zu müssen.
Zu wessen Vorteil wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, der dem Staat im Kabelfernsehen größere Kontrollmöglichkeiten eröffnet (u. a. Beschränkung der Übertragung von ausländischen Sendern und die Möglichkeit staatliche Meldungen in Gleichschaltung auch hier zu übertragen)?
Diese Ausführungen entspringen nicht einer möglichen Verbundenheit zu Globovision (persönlich eher gering). Unabhängig davon, ob man Fan oder Gegner des Sendeprogramms ist, gilt es hier zu berücksichtigen, welch schweren Schlag man dem Grundsatz des Pluralismus und den freien Medien als Kontroll- und Kritikorgan staatlichen Handelns mit der Schliessung Globovisions versetzte. Wäre nicht in einem demokratischen Staat die de facto Schließung freier Medien (besonders wenn es nur noch einen freien Regionalsender gibt) ultima ratio in allerschwersten Fällen?
Für Staaten wie Saudi Arabien wäre diese kritische Beurteilung inadäquat. Saudi Arabien ist weder eine Republik noch demokratisch. Wenigstens vermeidet das Königreich auch zu behaupten, es zu sein und entbindet sich somit von den hohen institutionellen Standards einer demokratischen Ordnung, deren Einhaltung Venezuela immer stärker verfehlt. Sollte Globovision wirklich geschlossen werden, wen könnte die Revolution dann noch mit den Verzerrung der Wirklichkeit und der "Gefährdung der geistigen Gesundheit des Volkes" (O-Ton) beschuldigen? Und vielleicht noch wichtiger: Wie könnten selbst chavistas in Zukunft erfahren, was wirklich im Lande passiert?
Unabhängig davon, ob dieses Vorgehen gegen Globovision begründet und zulässig ist, offenbart sich hier stellvertretend der weitere Zerfall der Institutionen Venezuelas.
Vielleicht sollte die Perspektive etwas erweitert werden. Die Grundlagen der politischen und gesellschaftlichen Ordnung insgesamt und die unter "Institutionen" zusammengefassten expliziten und impliziten Normen der sozialen Wirklichkeit eines vermeintlich demokratischen Systems erfahren eine ungünstige Beeinträchtigung. Unter dem in der Verfassung u. a. in Artikel 2 definierten demokratischen Charakter der Republik und dem wiederholten Anspruch des Regimes, "die demokratischste Nation des Kontinents" zu sein (poder popular, soberanía und participación sind nur einige der ständig bemühten Schlagworte), ist der Zweck staatlichen Handelns zum Wohle und im Interesse seiner Bürger anzunehmen.
"Venezuela constitutes itself as a Democratic and Social State of Law and Justice, which holds as superior values of its legal order and actions those of life, liberty, justice, equality, solidarity, democracy, social responsibility and, in general, the preeminence of human rights, ethics and political pluralism." (Artikel 2).Die Antwort auf die Frage nach dem qui bono? und der Motivation des jeweiligen staatlichen Handelns wirft jedoch kein gutes Licht auf die Funktionsfähigkeit der Institutionen bei der Verfolgung ihres demokratischen Auftrages (durch das fehlende Bestreben, diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten). Institutionen, die Ausdruck der Verfassung sind oder mit ihr konform sind, erfahren eine neue Ausrichtung an einer politischen Agenda, die sich bestenfalls, aus dem Programm der herrschenden Partei oder ihres Führers, Hugo Chávez, nährt und schlimmstenfalls aus dem immer stärker wahrzunehmenden und immer weniger eingedämmten Bestreben, eine Art neopatrimonialen Klientelismus auszuweiten.
Institutionen, die dieser Gleichschaltung entgegenstehen werden mit der vollen Wucht des Apparates bedrückt (z. B. Globovision, La Verdad, Universitäten, oppositionelle Länderregierungen) oder durch umfassende personelle Neubesetzungen (PDVSA ab 2003, "autonome" Institute des Staates) auf den ideologischen Kurs gebracht. Die Günstlinge hingegen sind dem Revolutionsführer (Parallele zum Iran beabsichtigt) treu ergeben, nicht unbedingt, weil sie das obskure politische Konzept teilen, sondern weil es in erster Linie Geld, Macht, Verwirklichung, einen Teil am Kuchen für sich selbst und die seinen bedeutet. Dies war tendenziell schon immer so in Venezuela, ist aber in den letzten zehn Jahren nicht besser geworden. Nicht umsonst ist aus der revolución bolivariana des geflügelte Wort der robolución bolivariana geworden (von robar: stehlen, klauen, rauben). Die vorangegangene paktierte Demokratie hat wenigstens eine gewisse Rotation und gegenseitige Kontrolle bedeutet, die zwar eine "Schattenrendite" abwerfen musste, extremste Missbräuche aber durch den gegenseitigen Neid begrenzen konnte. Neu ist die unerbittliche Verfolgung von Günstlingen oder Verbündeten, die der Revolution den Rücken kehren (z. B. General Baduel, Ismael García) oder sich nicht stromlinienförmig genug verhalten. Wie wenig ist der Revolution die Integrität selbst der grundlegendsten Institutionen wert, wenn eine Regierung ständig im Staatsfernsehen Mitglieder des gegnerischen polischen Lagers, darunter demokratisch gewählte Gouverneure und Bürgermeister, als Schuft, Mafioso, Verrückter, Bandit, Terrorist bezeichnet? Wer von einer jeweiligen Mehrheit ins Amt gewählte Gouverneure als Faschisten und Putschisten bezeichnet, beleidigt gleichzeitig jeden einzelnen seiner Wähler und aberkennt die Unantastbarkeit und höchste Autorität des in der Wahl ausgedrückten Volkswillens. Die völlig unangebrachten Attacken ad hominem belegen die mangelnde Fähigkeit (mindestens den mangelnden Willen) zur sachlichen Auseinandersetzung. Wie lästig erscheint der Revolution also der Mechanismus der demokratischen Legitimation jeglicher Regierungsgewalt, wenn sie nicht einen Kandidaten der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas zum Amt verhilft (siehe Gauleiter von Caracas)? Wie viel versteht Chávez von der Rolle freier Medien, wenn er Sendern mit Schließung droht, sofern sie ihr redaktionelles Konzept nicht ändern? Wie unabhängig der res publica verschrieben sind Organe, die auf präsidialen Zuruf (ohne verfassungsmässige Weisungsbindung) in Aktion treten?
Nachdem dem größten und ältesten privat geführten Sender, RCTV, 2007 die Rundfunksendekonzession nicht verlängert wurde (über Kabel noch verfügbar) und die anderen Privatsender sich mehr auf ihr Unterhaltungsprogramm statt auf kritische Berichterstattung konzentrieren, nur um ähnlichen Repressalien zu entgehen und nicht etwa, weil es nichts zu kritisieren gäbe, bleibt Globovision der einzige noch freie Privatsender (Die Frequenz von RCTV wurde einem weiteren landesweiten Staatssender übertragen, TVes). Wenn freie Medien, selbst wenn sie einseitig und grundsätzlich regimefeindlich und oppositonsfreundlich berichten, ein für eine offene Demokratie notwendiges Element sind, dann ist Globovision sein letzte Vertreter im TV mit erstaunlich beschränkter Rundfunksendereichweite. Welche Plattform könnte die nicht-chavistische politische Landschaft also sonst noch darstellen, wenn die von der Regierung kontrollierten Staatssender ausschliesslich chavistische Hardline-Propaganda verbreiten? Wieso verfolgen chavistas einfersüchtig mögliche Verletzungen der Ley de Responsabilidad Social en Radio y Televisión (Ley Resorte) bei Globovision und RCTV, während angezeigte Übertretungen durch das "Enthüllungsmagazin" La Hojilla im Staatssender VTV (z. B.) nicht verfolgt werden, wenn nicht, weil zuständige Institutionen dysfunktional sind?
Globovisions Senderreichweite auf der öffentlichen Frequenz von Kanal 33 ist lediglich auf den Großraum Caracas und wesentliche Teile des Bundesstaates Carabobo beschränkt. Globovision ist also ein Reginalsender. Im restlichen Teil des Landes ist es nur durch Kabel-Abonnement zu empfangen. Es ist auf den ersten Blick verwunderlich, dass ein solch beschränkter Sender alltägliches politisches Thema bleibt und viel revolutionären Atem und politische Ressourcen beansprucht. Leider liegen keine verlässlichen Daten vor, aber im Gegensatz zu den landesweit auf den öffentlichen Frequenzen empfangbaren Staatssendern scheint sich Globovision selbst unter bekennenden chavistas großer Beliebtheit (Notwendigkeit?) zu erfreuen. Dass gerade in den Sendebereichen Globovisions, Caracas und Carabobo, bei den letzten Regionalwahlen die Opposition gewann, ist sicherlich kein Zufall. Hiermit beantwortet sich möglicherweise auch die Frage nach dem qui bono? einer Schließung des Senders (noch vor den Parlamentswahlen)...
Die Bevölkerung in den weniger urbanen Teilen des Landes, besonders die Ärmsten, haben also keinen wirklichen Zugang zu Globovision und erhalten Informationen über die landesweit sendenden und dem revolutionären Dogma verpflichteten Staatssendern oder von der Regierung abhängigen Regionalsendern.
Gleichzeitig hat das Regime einen anderen Zusammenhang zu befürchten, der die Wahl der Methode zur Beseitigung von Globovision erklären könnte: Nachdem 2007 der populäre Sender RCTV seine Sende-Erlaubnis verlor und große Teile der Bevölkerung dies als de facto Schliessung auffassten (und auch Revolutionären entging nun das beliebte Unterhaltungsprogramm), lehnte die Mehrheit der Bevölkerung in einem Volksentscheid Ende des selben Jahres die von Chávez vorgeschlagenen umfassenden Änderungen der Verfassung ab. Damit diesmal nicht der Eindruck einer verordneten Schließung samt Wahlhandicap entsteht, wird das Mittel der wirtschafltlichen Strangulation gewählt. Die von Steuerbehörden und Rundfunkaufsicht geforderten Nachzahlungen, Ordnungsgelder und Untersuchungen sind geeignet, den Sender inoperabel zu machen ohne eine Schließung dekretieren zu müssen.
Zu wessen Vorteil wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, der dem Staat im Kabelfernsehen größere Kontrollmöglichkeiten eröffnet (u. a. Beschränkung der Übertragung von ausländischen Sendern und die Möglichkeit staatliche Meldungen in Gleichschaltung auch hier zu übertragen)?
Diese Ausführungen entspringen nicht einer möglichen Verbundenheit zu Globovision (persönlich eher gering). Unabhängig davon, ob man Fan oder Gegner des Sendeprogramms ist, gilt es hier zu berücksichtigen, welch schweren Schlag man dem Grundsatz des Pluralismus und den freien Medien als Kontroll- und Kritikorgan staatlichen Handelns mit der Schliessung Globovisions versetzte. Wäre nicht in einem demokratischen Staat die de facto Schließung freier Medien (besonders wenn es nur noch einen freien Regionalsender gibt) ultima ratio in allerschwersten Fällen?
Für Staaten wie Saudi Arabien wäre diese kritische Beurteilung inadäquat. Saudi Arabien ist weder eine Republik noch demokratisch. Wenigstens vermeidet das Königreich auch zu behaupten, es zu sein und entbindet sich somit von den hohen institutionellen Standards einer demokratischen Ordnung, deren Einhaltung Venezuela immer stärker verfehlt. Sollte Globovision wirklich geschlossen werden, wen könnte die Revolution dann noch mit den Verzerrung der Wirklichkeit und der "Gefährdung der geistigen Gesundheit des Volkes" (O-Ton) beschuldigen? Und vielleicht noch wichtiger: Wie könnten selbst chavistas in Zukunft erfahren, was wirklich im Lande passiert?
Montag, 15. Juni 2009
Mission failed: Robinson
Beim Stöbern in der deutschsprachigen Wikipedia stolperte ich zufällig über den Artikel "Bolivarianische Missionen". Die Beschreibung der Missionen, besonders ihrer vermeintlichen Erfolge, entspricht dem recht einseitigen Bild, das das politische Projekt Hugo Chávez' im deutschsprachigen Raum geniesst. Besieht man sich die angeführten Quellen, verwundert diese unkritische Beurteilung weniger: Angaben der venezolanischen Regierung, Dario Azzellini, eher ein Apologet der bolivarianischen Revolution und das als völlig unkritsch (weil ideologisch sehr nahestehend) anzusehende amerika21.de.
Der Verweis auf diese Quellen wäre nicht problematisch, wenn sie geeignet wären, nicht nur eine rein politisch motivierte Auskunft zu geben, sondern die beanspruchten Erfolge mit objektiven Beweisen zu belegen. Diese fehlen.
Im Abschnitt "Erfolge" besagten Artikels steht bezüglich der Misión Robinson (Alphabetisierung) der Satz:
Misión Robinson lief im Juli 2003 an und sollte die Analphabetenquote reduzieren. Hierzu wurden landesweit "Trainer" aus der Bevölkerung eingebunden, um den Eingeschriebenen, überwiegend Erwachsene, nach einem vorgegebenen Lehrplan inklusive Videolektionen in sieben Wochen Lesen und Schreiben beizubringen. Die Trainer erhielten dafür ca. US$ 100 monatlich aus der Staatskasse. Bereits vor Ende 2005 meldete die Regierung die Beseitigung des Analphabetentums in Venezuela dank Robinson.
Bereits bei Grundsätzlichkeiten der Mission fallen Inkonsistenzen auf. So geben verschiedene Regierungsstellen abweichende Zahlen über die Menge der einzubindenden Analphabeten. Sie schwanken zwischen 1,4 und 1,5 Mio. Bürger. Zu keiner Zeit wird ein Beleg für die Herleitung dieser Zahlen gezeigt. Zusätzlich geben offizielle Statistiken die Anzahl Analphabeten für 2001 mit lediglich knapp über 1 Million Bürger an.
Das Ministerium für Erziehung rechtfertigte diese Korrektur nach oben mit einer angeblichen Untersuchung, die diesbezüglich im Jahre 2003 durchgeführt wurde. Auch die Ergebnisse oder Verfahrensdokumentation dieser Prüfung sind nirgends einzusehen. Sogar die Anzahl der insgesamt zwischen 2003 und 2005 eingebundenen Trainer variiert je nachdem, wer die Auskunft gibt, zwischen ca. 110.000 und 210.000 Personen. Es ist schon aus diesen Gründen fraglich, wie glaubhaft der Erfolg der Mission sein kann, wenn die zugrundeliegenden Ausgangszahlen selbst offenbar nicht gesichert scheinen.
Die oben angeführte Studie von Ortega & Rodríguez untersucht mit soliden statistischen Methoden, wie groß der Einfluss der Misión Robinson auf die Veränderung der Analphabetenquote ist. Das Ergebnis: Der Einfluß der Reduktion von Analphabetismus durch die Mission ist statistisch (somit ökonomisch) insignifikant. Eine fortgeführte kleine Verringerung von Analphabetismus scheint eher einem langfristigen demographischen Trend zu gehorchen.
Weisbrot und Rosnik (2008) äusserten Vorbehalte gegen die Methodik der im Vorfeld der statistischen Analyse durchgeführten Haushaltsbefragungen durch Ortega und Rodríguez, die wiederum eine (aus meiner Sicht plausible und dominante) wissenschaftliche Antwort auslösten. Einblick in die Auseinandersetzung der Gelehrten hier und hier.
Eine Reduzierung der Analphabetenquote scheint grundsätzlich schlüssig, allerdings nicht auf das Niveau von 1%. Der Human Development Report 2007/2008 der Vereinten Nationen gibt Venezuelas Alphabetenquote mit 93% an und die Zahlen für die letzten Jahre laut CIA World Factbook sind identisch. Die Behauptung von venezolanischer Seite, die UNESCO habe 2005 die Beseitigung des Analphabetismus' in Venezuela anerkannt, wurde durch die UNESCO zurückgewiesen.
Im Gegenteil. Es gibt von Venezuela keine verlässlichen Zahlen zu der tatsächlichen Alphabetenquote und die zuständigen Ministerien verweigern jede Art von international anerkannten Bildungstest und Audits (vgl. PISA der OECD). Glaubt man den Berichten von der Funktionsweise der Misión Robinson, liegt ihre Ineffizienz möglicherweise im Konzept begründet: So herrschte eine hohe Fluktuation unter den Trainern (ca. 40%), da eine Trainerstelle oft nur angenommen wurde, um in einer Phase der Arbeitslosigkeit wenigstens von den US$ 100 monatlich zu profitieren (einige Trainer blieben einfach dem Unterricht fern). Es wird von zahlreichen Fällen berichtet, in denen der zuständige Trainer sich weniger mit der Vermittlung von Lese- und Schreibfähigkeiten befasste als vielmehr mit "politischer (sozialistisch-bolivarianischer) Erziehung" der ihm anvertrauten Lernwilligen.
Die größte methodische Schwäche aus meiner Sicht bleibt jedoch das völlige Fehlen jeglicher Evaluationsmöglichkeiten. Es gibt keine geeigneten Zwischen- oder Abschlussprüfungen, um den ausreichenden Erwerb der Lese-/Schreibfähigkeit festzustellen. Schon aus dem dadurch resultierenden Mangel der Messbarkeit werden die von offizieller Seite behaupteten Erfolge zur reinen Glaubenssache.
Da die venezolanische Regierung keine nachvollziehbaren Daten als Beleg ihrer Erfolgsmeldung liefert (liefern kann?), bleibt eine Beseitigung des Analphabetismus' nicht feststellbar. Einen entsprechenden Änderungsvorschlag habe ich in der Diskussionsseite des Wikipediabeitrages eingefügt.
Der Verweis auf diese Quellen wäre nicht problematisch, wenn sie geeignet wären, nicht nur eine rein politisch motivierte Auskunft zu geben, sondern die beanspruchten Erfolge mit objektiven Beweisen zu belegen. Diese fehlen.
Im Abschnitt "Erfolge" besagten Artikels steht bezüglich der Misión Robinson (Alphabetisierung) der Satz:
"Den sichtbarsten Erfolg konnte wohl die Misión Robinson erreichen: Die Analphabetenquote wurde in wenigen Jahren von 6,12 auf 1 % gesenkt."Im darauf folgenden Satz steht auch, dass dies nicht von der UNESCO bestätigt wurde. Dennoch erscheint die Übernahme dieser regierungsamtlichen Erfolgsmeldung aufgrund ihrer Haltlosigkeit einer Enzyklopädie nicht würdig. Wie miserabel beispielweise die Wohnraum-Mission verläuft, habe ich in diesem Beitrag bereits gezeigt. Zwar wurden die zweifelhaften Erfolge der Misión Robinson schon in der Vergangenheit an anderen Stellen ausgiebig diskutiert, da man im deutschsprachigen Raum nach wie vor die offiziellen Angaben ohne Hinterfragung hinnimmt, sei der Fall hier noch einmal kurz aufgerollt. So folgt z. B. Sahra Wagenknecht (Die Linke) der oben zitierten Behauptung (Dank an Kepler für den Hinweis). Bei der Beurteilung des Sachverhalts beziehe ich mich auf die durch Ortega und Rodríguez (Wesleyan Univeristy) 2006 durchgeführte Studie.
Misión Robinson lief im Juli 2003 an und sollte die Analphabetenquote reduzieren. Hierzu wurden landesweit "Trainer" aus der Bevölkerung eingebunden, um den Eingeschriebenen, überwiegend Erwachsene, nach einem vorgegebenen Lehrplan inklusive Videolektionen in sieben Wochen Lesen und Schreiben beizubringen. Die Trainer erhielten dafür ca. US$ 100 monatlich aus der Staatskasse. Bereits vor Ende 2005 meldete die Regierung die Beseitigung des Analphabetentums in Venezuela dank Robinson.
Bereits bei Grundsätzlichkeiten der Mission fallen Inkonsistenzen auf. So geben verschiedene Regierungsstellen abweichende Zahlen über die Menge der einzubindenden Analphabeten. Sie schwanken zwischen 1,4 und 1,5 Mio. Bürger. Zu keiner Zeit wird ein Beleg für die Herleitung dieser Zahlen gezeigt. Zusätzlich geben offizielle Statistiken die Anzahl Analphabeten für 2001 mit lediglich knapp über 1 Million Bürger an.
Das Ministerium für Erziehung rechtfertigte diese Korrektur nach oben mit einer angeblichen Untersuchung, die diesbezüglich im Jahre 2003 durchgeführt wurde. Auch die Ergebnisse oder Verfahrensdokumentation dieser Prüfung sind nirgends einzusehen. Sogar die Anzahl der insgesamt zwischen 2003 und 2005 eingebundenen Trainer variiert je nachdem, wer die Auskunft gibt, zwischen ca. 110.000 und 210.000 Personen. Es ist schon aus diesen Gründen fraglich, wie glaubhaft der Erfolg der Mission sein kann, wenn die zugrundeliegenden Ausgangszahlen selbst offenbar nicht gesichert scheinen.
Die oben angeführte Studie von Ortega & Rodríguez untersucht mit soliden statistischen Methoden, wie groß der Einfluss der Misión Robinson auf die Veränderung der Analphabetenquote ist. Das Ergebnis: Der Einfluß der Reduktion von Analphabetismus durch die Mission ist statistisch (somit ökonomisch) insignifikant. Eine fortgeführte kleine Verringerung von Analphabetismus scheint eher einem langfristigen demographischen Trend zu gehorchen.
Weisbrot und Rosnik (2008) äusserten Vorbehalte gegen die Methodik der im Vorfeld der statistischen Analyse durchgeführten Haushaltsbefragungen durch Ortega und Rodríguez, die wiederum eine (aus meiner Sicht plausible und dominante) wissenschaftliche Antwort auslösten. Einblick in die Auseinandersetzung der Gelehrten hier und hier.
Eine Reduzierung der Analphabetenquote scheint grundsätzlich schlüssig, allerdings nicht auf das Niveau von 1%. Der Human Development Report 2007/2008 der Vereinten Nationen gibt Venezuelas Alphabetenquote mit 93% an und die Zahlen für die letzten Jahre laut CIA World Factbook sind identisch. Die Behauptung von venezolanischer Seite, die UNESCO habe 2005 die Beseitigung des Analphabetismus' in Venezuela anerkannt, wurde durch die UNESCO zurückgewiesen.
Im Gegenteil. Es gibt von Venezuela keine verlässlichen Zahlen zu der tatsächlichen Alphabetenquote und die zuständigen Ministerien verweigern jede Art von international anerkannten Bildungstest und Audits (vgl. PISA der OECD). Glaubt man den Berichten von der Funktionsweise der Misión Robinson, liegt ihre Ineffizienz möglicherweise im Konzept begründet: So herrschte eine hohe Fluktuation unter den Trainern (ca. 40%), da eine Trainerstelle oft nur angenommen wurde, um in einer Phase der Arbeitslosigkeit wenigstens von den US$ 100 monatlich zu profitieren (einige Trainer blieben einfach dem Unterricht fern). Es wird von zahlreichen Fällen berichtet, in denen der zuständige Trainer sich weniger mit der Vermittlung von Lese- und Schreibfähigkeiten befasste als vielmehr mit "politischer (sozialistisch-bolivarianischer) Erziehung" der ihm anvertrauten Lernwilligen.
Die größte methodische Schwäche aus meiner Sicht bleibt jedoch das völlige Fehlen jeglicher Evaluationsmöglichkeiten. Es gibt keine geeigneten Zwischen- oder Abschlussprüfungen, um den ausreichenden Erwerb der Lese-/Schreibfähigkeit festzustellen. Schon aus dem dadurch resultierenden Mangel der Messbarkeit werden die von offizieller Seite behaupteten Erfolge zur reinen Glaubenssache.
Da die venezolanische Regierung keine nachvollziehbaren Daten als Beleg ihrer Erfolgsmeldung liefert (liefern kann?), bleibt eine Beseitigung des Analphabetismus' nicht feststellbar. Einen entsprechenden Änderungsvorschlag habe ich in der Diskussionsseite des Wikipediabeitrages eingefügt.
Freitag, 12. Juni 2009
Einseitige Aussenwirtschaft - Teil 2: Importe
(Fortsetzung. Siehe Teil 1: Exporte)
Der in den vergangenen Jahren steigende Ölpreis hat das venezolanische Exportvolumen stark ansteigen lassen. Gleichzeitig hat auch der Betrag der Importe zugenommen. Stimuliert werden und wurden Importe zusätzlich durch das geltende Wechselkursregime.
Auf den ersten Blick mögen die dargestellten Entwicklungen nicht aussergewöhnlich erscheinen, die Details offenbaren jedoch bemerkenswerte Besonderheiten zu Umfang und Struktur der Einfuhren.
Zentraler Mechanismus für Importe ist der seit Jahren fixierte offizielle Wechselkurs von 2,15 Bs.F/US$ und die Devisenzuteilung an Bürger und Unternehmen seitens CADIVI. Dollar, die Importeure zum Kauf von Gütern im Ausland benötigen, können zum offiziellen Kurs bei der Zentralbank für Bolívares erworben werden, wenn CADIVI die Zuteilung genehmigt.
Hierbei machte der festgelegte Wechselkurs bei gleichzeitig hohen Infaltionsraten der letzten Jahre (zwischen 13 und 31%) Auslandsgüter vergleichsweise billiger und heizte den Import an. Auf der anderen Seite teilt CADIVI seit Ende 2008 die wegen Einbruch des Ölpreises nicht mehr so deutlich wachsenden Dollarreserven nur noch in viel geringerem Umfang zu. Die Lücke zwischen Dollarbedarf für den Import und dem tatsächlich offiziell zugeteilten Volumen müssen private Importeuere in grösserem Umfang am illegalen Parallelmarkt decken, an dem der reale Dollarkurs ein vielfaches der 2,15 Bs.F/US$ beträgt (siehe hierzu Beitrag "¿Dólares? No hay...").
Nachfolgend meine grafische Darstellung der vom Banco Central de Venezuela (BCV) zur Verfügung gestellten Daten. Abbildung 1 zeigt die absoluten Werte der Exporte und Importe der letzten Jahre. In Abbildung 2 ist ersichtlich, dass der Umfang der Importe seit 2001 (mit Ausnahmen) stärker gewachsen ist, als die Exporte. In 2002 und 2003 ist das Importvolumen als Folge der landesweiten Generalstreiks gesunken, während in 2008 der Rekordölpreis das Exportvolumen im Vergleich stark vergrösserte.
Der grosse Petrodollarzufluss und der importbegünstigende feste Wechselkurs haben dazu geführt, dass die Nation mittlerweile zunehmend auf Einfuhren angewiesen ist. Oftmals kann die inländische Produktion nicht mit dem (dank fixierten Wechselkurs) vergleichsweise billigerem Ausland mithalten und wird durch Importe substituiert. Heute betrifft dies nicht nur Maschinen, Ausrüstung und Ersatzteile, sondern in stark zunehmendem Maße auch schon Basisgüter wie Lebensmittel, Vieh und Feldfrüchte.
Abbildung 3 zeigt die Exporte und Importe des öffentlichen Sektors (Staat bzw. Staatsunternehmen), die nicht erdölbezogen sind. Ausfuhren des öffentlichen Sektors waren tendenziell höher als die getätigten Einfuhren. Diese Entwicklung kehrt sich in 2007 deutlich um.
Es fällt auf, dass die staatlichen Einfuhren allein des ersten Quartals 2009 bereits höher sind als die irgendeines Gesamtjahres von 1997 bis einschliesslich 2005. Im ersten Quartal 2009 waren die staatlichen Einfuhren mit 1,64 Mrd. US$ fast doppelt so hoch (+ 93%) wie im ersten Quartal des Vorjahres (Einfuhren des privaten Sektors wuchsen im Vergleich nur um 2,3%).
In Abbildung 4 sind Exporte und Importe des privaten Sektors (nicht erdölbezogen) gegenübergestellt. Seit 2005 ist das private Einfuhrvolumen höher als je zuvor. In diesem Jahr wurde auch zuletzt der offizielle Wechselkurs geringfügig angepasst und somit die "Wechselkurssubvention des Imports", die 2003 eröffnet wurde, fortgeführt.
Es ist zu erwarten, dass in 2009 die privaten Importe wegen abkühlender Konjunktur und v.a. der strengen Devisenzuteilung stark zurückgehen. Man darf nicht vergessen, dass die abgebildeten Einfuhren in 2009 teilweise noch auf Bestellungen aus 2008 - als die Devisen noch nicht so knapp rationiert waren - beruhen.
Es ist eine deutliche Umstrukturierung der Einfuhren nach Sektor festzustellen. Während der private Sektor die Einfuhren zurückfährt, nimmt das Importvolumen des staatlichen Sektors weiter zu. Letztere sind in ihrem Höhepunkt im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1998 bis 2004 um ca. 647% gewachsen (Abbildung 5), während die privaten im Vergleich maximal um ca. 253% stiegen (Abbildung 6). Der Staat nimmt immer grösseren Anteil an den Einfuhren und somit auch an der Entscheidung darüber, was importiert wird.
Dieser Sachverhalt scheint problematisch. Die gesamten Einfuhren für 2009 dürften sinken (Häfen registrieren Einfuhrrückgang um 35-50%), da privatwirtschaftliche Importeure immer seltener notwendige Devisen erhalten. Zusätzlich sind sie gezwungen in 2009 viel mehr ihrer Devisen auf dem Schwarzmarkt zu erwerben (heutiger Kurs ca. 6,52 Bs.F/US$, die Devisenzuteilung zum offiziellen Kurs in den ersten vier Monaten von 2009 betrug gerade einmal 46% des Vorjahreszeitraumes) und zahlen somit einen höheren Preis für ihre Einfuhren. In 2008 wurden nur 5% er Importe durch teurere illegale Dollar getätigt, für 2009 schätzt man den Anteil auf ein Drittel. Dies hat zur Folge, dass hiermit auch Inflation importiert wird (und den rasanten Preisniveau-Anstieg weiter antreibt). So lässt sich an den Zahlen des BCV erkennen, dass die Großhandelspreise importierter Güter in den ersten fünf Monaten von 2009 um 15,7% gestiegen sind. Da die venezolanische Wirtschaft in diesem Jahr nicht wächst, sondern eine Rezession erlebt (mehr zu einer möglichen Stagflation an anderer Stelle), geht auch die Konsumintensität zurück. Möglicherweise werden nicht alle Unternehmen in der Lage sein, aufgrund der höheren Kosten und nicht wachsender Nachfrage weiterhin am Markt zu bleiben und aufgeben. Der staatliche Sektor wird nicht durch die strengen Devisenzuteilungen betroffen, so dass er weiterhin sehr günstig im Ausland kaufen kann. In dem Maße, in dem Private nicht mehr die Nachfrage durch Einfuhren bedienen können, wird der Staat seine Importe auf hohem Niveau halten oder steigern und sicherlich weniger nachfrageorientiert und mehr aus politisch-strategischen Erwägungen die Versorgung durchführen. Die hohe Importtendenz der letzten Jahre hat sich hemmend auf die inländische Produktion ausgewirkt. Die zuletzt großen Einfuhren von wichtigen Basisgütern, besonders Agrarerzeugnisse, durch den Staat könnten auch hier wie starkes Gift für die einheimische Erzeugung wirken. Eine Fortführung der dargestellten Trends führte zu einer noch stärkeren Abhängigkeit vom Ausland. Zum einen, weil aus dem Ausland immer stärker nationaler Bedarf gedeckt werden muss; zum anderen, weil zur Importation immer häufiger der Staat Transaktionen vornimmt und die ölpreisabhängigen und heute fast ausschliesslichen Petroleumeinnahmen zur Finanzierung der Einfuhr verwendet. Die Einseitigkeit zugunsten der staatlichen Rolle in Ausfuhren und Einfuhren wächst.
Der in den vergangenen Jahren steigende Ölpreis hat das venezolanische Exportvolumen stark ansteigen lassen. Gleichzeitig hat auch der Betrag der Importe zugenommen. Stimuliert werden und wurden Importe zusätzlich durch das geltende Wechselkursregime.
Auf den ersten Blick mögen die dargestellten Entwicklungen nicht aussergewöhnlich erscheinen, die Details offenbaren jedoch bemerkenswerte Besonderheiten zu Umfang und Struktur der Einfuhren.
Zentraler Mechanismus für Importe ist der seit Jahren fixierte offizielle Wechselkurs von 2,15 Bs.F/US$ und die Devisenzuteilung an Bürger und Unternehmen seitens CADIVI. Dollar, die Importeure zum Kauf von Gütern im Ausland benötigen, können zum offiziellen Kurs bei der Zentralbank für Bolívares erworben werden, wenn CADIVI die Zuteilung genehmigt.
Hierbei machte der festgelegte Wechselkurs bei gleichzeitig hohen Infaltionsraten der letzten Jahre (zwischen 13 und 31%) Auslandsgüter vergleichsweise billiger und heizte den Import an. Auf der anderen Seite teilt CADIVI seit Ende 2008 die wegen Einbruch des Ölpreises nicht mehr so deutlich wachsenden Dollarreserven nur noch in viel geringerem Umfang zu. Die Lücke zwischen Dollarbedarf für den Import und dem tatsächlich offiziell zugeteilten Volumen müssen private Importeuere in grösserem Umfang am illegalen Parallelmarkt decken, an dem der reale Dollarkurs ein vielfaches der 2,15 Bs.F/US$ beträgt (siehe hierzu Beitrag "¿Dólares? No hay...").
Nachfolgend meine grafische Darstellung der vom Banco Central de Venezuela (BCV) zur Verfügung gestellten Daten. Abbildung 1 zeigt die absoluten Werte der Exporte und Importe der letzten Jahre. In Abbildung 2 ist ersichtlich, dass der Umfang der Importe seit 2001 (mit Ausnahmen) stärker gewachsen ist, als die Exporte. In 2002 und 2003 ist das Importvolumen als Folge der landesweiten Generalstreiks gesunken, während in 2008 der Rekordölpreis das Exportvolumen im Vergleich stark vergrösserte.
Der grosse Petrodollarzufluss und der importbegünstigende feste Wechselkurs haben dazu geführt, dass die Nation mittlerweile zunehmend auf Einfuhren angewiesen ist. Oftmals kann die inländische Produktion nicht mit dem (dank fixierten Wechselkurs) vergleichsweise billigerem Ausland mithalten und wird durch Importe substituiert. Heute betrifft dies nicht nur Maschinen, Ausrüstung und Ersatzteile, sondern in stark zunehmendem Maße auch schon Basisgüter wie Lebensmittel, Vieh und Feldfrüchte.
Abbildung 3 zeigt die Exporte und Importe des öffentlichen Sektors (Staat bzw. Staatsunternehmen), die nicht erdölbezogen sind. Ausfuhren des öffentlichen Sektors waren tendenziell höher als die getätigten Einfuhren. Diese Entwicklung kehrt sich in 2007 deutlich um.
Es fällt auf, dass die staatlichen Einfuhren allein des ersten Quartals 2009 bereits höher sind als die irgendeines Gesamtjahres von 1997 bis einschliesslich 2005. Im ersten Quartal 2009 waren die staatlichen Einfuhren mit 1,64 Mrd. US$ fast doppelt so hoch (+ 93%) wie im ersten Quartal des Vorjahres (Einfuhren des privaten Sektors wuchsen im Vergleich nur um 2,3%).
In Abbildung 4 sind Exporte und Importe des privaten Sektors (nicht erdölbezogen) gegenübergestellt. Seit 2005 ist das private Einfuhrvolumen höher als je zuvor. In diesem Jahr wurde auch zuletzt der offizielle Wechselkurs geringfügig angepasst und somit die "Wechselkurssubvention des Imports", die 2003 eröffnet wurde, fortgeführt.
Es ist zu erwarten, dass in 2009 die privaten Importe wegen abkühlender Konjunktur und v.a. der strengen Devisenzuteilung stark zurückgehen. Man darf nicht vergessen, dass die abgebildeten Einfuhren in 2009 teilweise noch auf Bestellungen aus 2008 - als die Devisen noch nicht so knapp rationiert waren - beruhen.
Es ist eine deutliche Umstrukturierung der Einfuhren nach Sektor festzustellen. Während der private Sektor die Einfuhren zurückfährt, nimmt das Importvolumen des staatlichen Sektors weiter zu. Letztere sind in ihrem Höhepunkt im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 1998 bis 2004 um ca. 647% gewachsen (Abbildung 5), während die privaten im Vergleich maximal um ca. 253% stiegen (Abbildung 6). Der Staat nimmt immer grösseren Anteil an den Einfuhren und somit auch an der Entscheidung darüber, was importiert wird.
Dieser Sachverhalt scheint problematisch. Die gesamten Einfuhren für 2009 dürften sinken (Häfen registrieren Einfuhrrückgang um 35-50%), da privatwirtschaftliche Importeure immer seltener notwendige Devisen erhalten. Zusätzlich sind sie gezwungen in 2009 viel mehr ihrer Devisen auf dem Schwarzmarkt zu erwerben (heutiger Kurs ca. 6,52 Bs.F/US$, die Devisenzuteilung zum offiziellen Kurs in den ersten vier Monaten von 2009 betrug gerade einmal 46% des Vorjahreszeitraumes) und zahlen somit einen höheren Preis für ihre Einfuhren. In 2008 wurden nur 5% er Importe durch teurere illegale Dollar getätigt, für 2009 schätzt man den Anteil auf ein Drittel. Dies hat zur Folge, dass hiermit auch Inflation importiert wird (und den rasanten Preisniveau-Anstieg weiter antreibt). So lässt sich an den Zahlen des BCV erkennen, dass die Großhandelspreise importierter Güter in den ersten fünf Monaten von 2009 um 15,7% gestiegen sind. Da die venezolanische Wirtschaft in diesem Jahr nicht wächst, sondern eine Rezession erlebt (mehr zu einer möglichen Stagflation an anderer Stelle), geht auch die Konsumintensität zurück. Möglicherweise werden nicht alle Unternehmen in der Lage sein, aufgrund der höheren Kosten und nicht wachsender Nachfrage weiterhin am Markt zu bleiben und aufgeben. Der staatliche Sektor wird nicht durch die strengen Devisenzuteilungen betroffen, so dass er weiterhin sehr günstig im Ausland kaufen kann. In dem Maße, in dem Private nicht mehr die Nachfrage durch Einfuhren bedienen können, wird der Staat seine Importe auf hohem Niveau halten oder steigern und sicherlich weniger nachfrageorientiert und mehr aus politisch-strategischen Erwägungen die Versorgung durchführen. Die hohe Importtendenz der letzten Jahre hat sich hemmend auf die inländische Produktion ausgewirkt. Die zuletzt großen Einfuhren von wichtigen Basisgütern, besonders Agrarerzeugnisse, durch den Staat könnten auch hier wie starkes Gift für die einheimische Erzeugung wirken. Eine Fortführung der dargestellten Trends führte zu einer noch stärkeren Abhängigkeit vom Ausland. Zum einen, weil aus dem Ausland immer stärker nationaler Bedarf gedeckt werden muss; zum anderen, weil zur Importation immer häufiger der Staat Transaktionen vornimmt und die ölpreisabhängigen und heute fast ausschliesslichen Petroleumeinnahmen zur Finanzierung der Einfuhr verwendet. Die Einseitigkeit zugunsten der staatlichen Rolle in Ausfuhren und Einfuhren wächst.
Montag, 8. Juni 2009
Einseitige Aussenwirtschaft - Teil 1: Exporte
Von diesem Video (aus Aló Presidente vom 28.05.09) kann man sich die Belanglosigkeiten der ersten Hälfte getrost sparen. Anstoss für diesen Beitrag gab die Äusserung des Präsidenten ab der dritten Minute.
Die relevante Passage habe ich transkribiert und sinngemäss übersetzt.
Präsident Hugo Chávez, Minute 3:13:
Die nachfolgenden Diagramme habe ich auf Grundlage der vom Banco Central de Venezuela (BCV) veröffentlichten Zahlen erstellt. Abbildung 1 zeigt den deutlichen Trend bei Güterexporten: Der Anteil nicht erdölbezogener Exporte betrug vor Chávez 1998 noch 31,2 % vom Gesamtvolumen und ist seit seinem Regierungsantritt bis 2008 auf 6,5% und somit auf ein Fünftel des Beitrages geschrumpft. [Zur Vergrösserung Grafiken anklicken]
Dass dieser Effekt nicht nur auf den steigenden Ölexporteinnahmen allein berüht, belegen Abbildungen 2 und 3: Zwar ist das Erdölexportvolumen drastisch gestiegen, das Exportvolumen nicht erdölbezogener Güter ist im selben Zeitraum nur marginal gestiegen (1998: 5,5 Mrd. US$; 2008: 6,1 Mrd. US$, knapp 11% Zunahme).
In der gesamten Regierungszeit der Revolución hat der Nicht-Erdöl-Export nur in zwei jahren ein deutliches Wachstum aufweisen können (2000, 2004), das dennoch nur ca. halb so hoch war wie der des Erdölsektors. In den zwei weiteren positiven Perioden war das Wachstum nicht nennenswert (2002) oder in keinem Verhältnis zum Erdölsektor (2005). In den restlichen Perioden (6 von 10) ist das Nicht-Erdöl-Exportvolumen geschrumpft.
Die Projektion der Raten für 2009 haben die vorhandenen Daten des ersten Quartals als Grundlage zzgl. eines Aufschlags von 20% auf die absoluten Werte. Da ich etwaige Saisonschwankungen der Quartale nicht berücksichtigt habe, kann das 1. Quartal 2009 und die darauf beruhende Aussicht zugegebenermassen möglicherweise nicht als repräsentativ angesehen werden. Wenn die Welt sich in 2009 nicht grundlegend ändert, dürfte der Trend mithin richtig sein.
Die Schlussfolgerung wirft kein positives Licht auf zehn Jahre bolivarianische Wirtschaftspolitik: Nicht nur ist es nicht gelungen, den Riesenanteil der Erdölexporte an den gesamten Güterexporteinnahmen zu reduzieren, er ist im Gegensatz sogar stark gewachsen. Mit ihm ist auch die Ausrichtung der Volkswirtschaft auf die Erdölexporte gefestigt und der Schutz gegen negative Ölpreisschocks zersetzt worden. 2009 und die folgenden Jahre werden hiervon Zeugnis ablegen. Alle anderen Güterexporte neben Erdöl haben keine bedeutende Zunahme erfahren. Dieser Sachverhalt kennzeichnet Venezuela als das, was auch Titel dieses Blogs ist: República del Petróleo, eine Bananenrepublik ohne Bananen (oder sonst etwas) und mit viel Erdöl.
Teil 2 widmet sich der Entwicklung der Importe
Präsident Hugo Chávez, Minute 3:13:
"Venezuela tiene que salir de la trampa monoproductora petrolera. Eso fué una maldición. Solo lo lograremos con trabajo, capacidad, organización y tecnología [...]. Al capitalismo mundial le da miedo [...]"Besonders der erste Satz ist erschütternd. Er offenbart entweder, dass den Präsidenten erst jetzt nach zehn Jahren an der Macht, die Erkenntnis erreicht, eine auf die Monokultur des schwarzen Goldes ausgerichtete Nation zu regieren oder, dass es ihm schon immer klar war und er jetzt erst Handlungsbedarf in der Sache sieht. Die aussenwirtschaftliche Zukunft, die er in dem Clip beschreibt, in der Venezuela allerlei Güter neben Erdöl in (befreundete) Staaten exportiert, klingt nach einem fernen Utopia.
Venezuela muss sich aus der Falle der einseitigen Erdölwirtschaft befreien. Das war ein Fluch. Wir können das nur durch Arbeit, Können, Organisation und Technologie schaffen. Der weltweite Kapitalismus fürchtet sich.
Die nachfolgenden Diagramme habe ich auf Grundlage der vom Banco Central de Venezuela (BCV) veröffentlichten Zahlen erstellt. Abbildung 1 zeigt den deutlichen Trend bei Güterexporten: Der Anteil nicht erdölbezogener Exporte betrug vor Chávez 1998 noch 31,2 % vom Gesamtvolumen und ist seit seinem Regierungsantritt bis 2008 auf 6,5% und somit auf ein Fünftel des Beitrages geschrumpft. [Zur Vergrösserung Grafiken anklicken]
Dass dieser Effekt nicht nur auf den steigenden Ölexporteinnahmen allein berüht, belegen Abbildungen 2 und 3: Zwar ist das Erdölexportvolumen drastisch gestiegen, das Exportvolumen nicht erdölbezogener Güter ist im selben Zeitraum nur marginal gestiegen (1998: 5,5 Mrd. US$; 2008: 6,1 Mrd. US$, knapp 11% Zunahme).
In der gesamten Regierungszeit der Revolución hat der Nicht-Erdöl-Export nur in zwei jahren ein deutliches Wachstum aufweisen können (2000, 2004), das dennoch nur ca. halb so hoch war wie der des Erdölsektors. In den zwei weiteren positiven Perioden war das Wachstum nicht nennenswert (2002) oder in keinem Verhältnis zum Erdölsektor (2005). In den restlichen Perioden (6 von 10) ist das Nicht-Erdöl-Exportvolumen geschrumpft.
Die Projektion der Raten für 2009 haben die vorhandenen Daten des ersten Quartals als Grundlage zzgl. eines Aufschlags von 20% auf die absoluten Werte. Da ich etwaige Saisonschwankungen der Quartale nicht berücksichtigt habe, kann das 1. Quartal 2009 und die darauf beruhende Aussicht zugegebenermassen möglicherweise nicht als repräsentativ angesehen werden. Wenn die Welt sich in 2009 nicht grundlegend ändert, dürfte der Trend mithin richtig sein.
Die Schlussfolgerung wirft kein positives Licht auf zehn Jahre bolivarianische Wirtschaftspolitik: Nicht nur ist es nicht gelungen, den Riesenanteil der Erdölexporte an den gesamten Güterexporteinnahmen zu reduzieren, er ist im Gegensatz sogar stark gewachsen. Mit ihm ist auch die Ausrichtung der Volkswirtschaft auf die Erdölexporte gefestigt und der Schutz gegen negative Ölpreisschocks zersetzt worden. 2009 und die folgenden Jahre werden hiervon Zeugnis ablegen. Alle anderen Güterexporte neben Erdöl haben keine bedeutende Zunahme erfahren. Dieser Sachverhalt kennzeichnet Venezuela als das, was auch Titel dieses Blogs ist: República del Petróleo, eine Bananenrepublik ohne Bananen (oder sonst etwas) und mit viel Erdöl.
Teil 2 widmet sich der Entwicklung der Importe
Samstag, 6. Juni 2009
El Vergatario
Ein Mobiltelefon made in Venezuela zeigte Präsident Chávez der Welt in seiner sonntäglichen TV-Show. Die Markteinführung sorgte im In- und Ausland für Schlagzeilen, jedoch aus unterschiedlichen Gründen.
Während die einheimische Presse hauptsächlich die Knappheit der nachgefragten Telefone verfolgte, fanden ausländische Medien einen Aufhänger an dem ungewöhnlichen Namen des Geräts.
Was Präsident und staatliche Medien nicht erzählen: Know how und Teile liefert das chinesisches Telecom-Unternehmen ZTE. Trotz der Bezeichnungen als venezolanisches Mobiltelefon, findet im Land lediglich die Endmontage des ZTE C366 „El Vergatario“ durch Vetelca statt (Gemeinschaftsunternehmen von venezolanischem Staat, 85%, und ZTE, 15%). Neben den üblichen Ausstattungsmerkmalen (Radio, MP3-Player, Kamera, WAP-Browser) kann man damit sogar telefonieren.
Besonders bemerkenswert ist der Preis. Für nur umgerechnet 14 US$ kann man El Vergatario erwerben – wenn man ihn findet.
Laut dem mittlerweile auch staatlichen Telekomunternehmen Móvilnet, ist für 2009 die Herstellung von 600.000 Einheiten geplant. Allerdings steht die Vertriebsorganisation in keinem Verhältnis zu der Werbung, die – an prominentester Stelle – Chávez dafür gemacht hat. In den ersten Tagen waren in den Filialen von Móvilnet nur sehr wenige oder keine der neuen Telefone zu bekommen. Lange Menschenschlangen, die teilweise seit Morgengrauen warteten konnten nicht bedient werden und auch in den folgenden Tagen trafen keine Geräte ein. Auch im virtuellen Laden der Móvilnet-Seite findet sich keine Bestellmöglichkeit des Vergatario.
Sollte Vetelca ähnlich ineffizient geführt werden, wie es bei anderen Staatsunternehmen selbst in vitalen Schlüsselindustrien zu beobachten ist (allen voran PDVSA und CVG), bleibt die Erhöhung der geplanten Produktion auf bis zu zwei Millionen Vergatarios in 2011 fraglich.
Mobiltelefone besitzen in Venezuela einen hohen Stellenwert. So steht das Land bei Käufen von BlackBerry Telefonen weltweit an zweiter Stelle. Bürger, die relativ häufig viel Geld für ein neues BlackBerry ausgeben, können bei einem zusätzlichen Kauf des Vergatario nicht viel verkehrt machen. Und zwar nicht primär aus ökonomischer Sicht. Wer sich kein BlackBerry leisten kann, findet im Vergatario endlich etwas „trendigeres“ (dank des vom Präsidenten genährten Hypes), was sich aus der Masse der unspektakulären Telefone des untersten Preissegments abhebt und gleichzeitig als politisches Statement zählt.
„Wer kein Vergatario besitzt, ist nicht links“, deklarierte Hugo Chávez halb im Scherz (?). Möglicherweise lässt sich in Venezuela bald ein neues Phänomen beobachten: Das Volkshandy dient als Ausweis der politischen Zugehörigkeit. Deshalb kann es nicht schaden, für alle Fälle eines (ggf. als Zweithandy) zu besitzen.
Die ausländischen Medien interessierten sich weniger für die recht konventionelle Technologie des Telefons oder seinen niedrigen Preis, sondern stellten vor allem auf den recht ungewöhnlichen Namen ab.
Verga heisst zunächst einmal „Penis“; die Adjektivierung vergatario wird in Venezuela aber benutzt, um etwas als besonders toll, hervorragend oder gut (vgl. „geil“) zu bezeichnen. Auf Deutsch hieße das Gerät in ähnlich vulgärem Sinne etwa "Pimmelhandy" oder "das Geile". In der englischsprachigen Presse reichen die Übersetzungen von penis cellphone über phallic phone bis dickphone und sorgten für reichlich Amusement. Die regierungskontrollierte Agentur ABN sah dahinter selbstverständlich ein Komplott zur Schmälerung des Ruhmes dieser revolutionären Errungenschaft (deren Name sie von Hugo Chávez erhielt).
Meine persönliche Lieblingsübersetzung von El Vergatario ins Englische stammt von amerikanischen Studenten: The Dick-tatorial.
Geldbeschaffung mit allen Mitteln
Venezuelas Staatsfinanzen befinden sich in der Krise. Nicht nur die negativen Entwicklungen des weltweiten Finanzsektors, sondern vor allem die unvernünftige Konzentration auf die Entwicklung des Ölpreises als Bedingung für Wohl oder Wehe der Nation, zwingen das Regime zu Kürzungen und neuen Schulden - auch auf ungesetzlichen Wegen.
Der Monatsbericht des Banco Central de Venezuela (Februar) zeigt, dass allein in den ersten zwei Monaten von 2009, bei Gegenüberstellung von regelmäßigen Einnahmen und Ausgaben, die Zentralregierung ein Defizit von 2,4 Mrd. US$ (zum ofiziellen Wechselkurs) zu verzeichnen hat.
Währen die realen Einnahmen in diesem Zeitraum um 42% schrumpften, gingen die realen Ausgaben um 29% zurück. Der Rückgang der Mittelzuflüsse lässt sich zu einem großen Anteil durch die Verringerung der Erdölexporteinnahmen erklären.
Um dieser Lage Herr zu werden, kürzte die Regierung den Haushalt um 5%, erhöhte die Mehrwertsteuer um 30% auf 12% und griff auf eine interne Neuverschuldung von ca. 17,3 Mrd. US$ zurück, um den Haushalt 2009 (72,8 Mrd. US$) auszugleichen.
Aber dies scheint nicht zu reichen. Gleichzeitig versucht Chávez durch internationale Abkommen über Kredite gegen Öllieferungen an mehr Bargeld zu kommen. Das kürzlich abgeschlossene Abkommen mit Brasiliens Banco Nacional de Desarrollo Económico y Social (Bndes), das die vereinbarte Kreditsumme direkt mit den venezolanischen Öllagerstätten besichert, soll den bedrohlichen Verlauf der verzweifelten Suche nach Mitteln belegen.
Venezuela erhält von Bndes ein Darlehen in Höhe von 4,3 Mrd. US$. Als Gegenleistung - und hier weicht Chávez von seiner etablierten Praxis ab - wird nicht eine regelmäßige Öllieferung zu festgelegtem Preis vereinbart, sondern direkt Teile der Erdöl-Lagerstätten im Orinoco-Feld als Sicherheit geboten.
Strategisch sehr vorteilhaft kann Brasilien die abnehmenden Einnahmen Venezuelas nutzen. Die vielen Milliarden Dollar, die zur Finanzierung und Aufrechterhaltung der vielen bolivarischen Missionen und diverser Projekte dienen werden, zeigen, wie wenig nachhaltig und kostspielig diese ausgelegt sind. Brasilien profitiert zusätzlich dadurch, dass das gegebene Geld gleich wieder in Projekte investiert wird, die von brasilianischen Unternehmen durchgeführt werden. So ist z. B. die brasilianische Firma Odebrecht mit dem Ausbau des Netzes der Metro von Caracas beauftragt - das Geld fließt gleich wieder zurück nach Brasilien. Zusätzlich hat sich Brasilien die Zusage gesichert, dass brasilianische Unternehmen - im Gegensatz zu anderen internationalen Unternehmen - nicht durch Chávez Enteignungswut betroffen werden. Firmen aus dem politisch verbündeten Argentinien, die in Venezuela operierten, genossen dieses Privileg nicht.
Der beklemmendste Aspekt an diesem Abkommen ist jedoch, dass zu seiner Erfüllung das venezolansiche Regime den Sinn des Gesetzes der öffentl. Finanzverwaltung ignoriert und sich zu einem offenkundigen Verfassungsbruch bewegen lässt
Das geltende Gesetz der öffentl. Finanzverwaltung legte in Artikel 93 fest, dass die staatliche Verwaltung keine Kreditgeschäfte eingehen darf, die mit nationalen Vermögenswerten oder Einnahmen besichert werden. Die Nationalversammlung hat im Eilverfahren dem Gesetz einen Passus hinzugefügt, die diese Einschränkung nach Belieben aufhebt.
Dies ist ein übliches Manöver der Gesetzesmaßschneiderei durch Chávez' Gehilfen in der Legislative und leider mittlerweile nicht weiter aufsehenerregend. Was kritisch bleibt, ist ein weiterer Bruch mit der Verfassung: Artikel 12 der Verfassung Venezuelas definiert die nationalen Lagerstätten für Erdöl und andere Bodenschätze als nicht übertragbar ("inalienables e imprescriptibles").
Diese weitere Verletzung von Geist und Wortlaut der Verfassung durch das Regime zum Erhalt eines dringend benötigten externen Kredits zeigt die Verzweiflung der Staatsführung. Bislang hat man, wann immer möglich, Maßnahmen in das Gewand der Legalität zu kleiden versucht, um die inneren Verhältnisse nach den Vorgaben und Vorstellungen des comandante zu gestalten. Jetzt lässt man sich schon durch internationale Kreditzusagen dazu berwegen...
Die vergangene Wirtschaftspolitik, die offenbar zu keinem Zeitpunkt am der langfristigen Stabilität der Volskwirtschaft orientiert war, hat das Land in eine derart schwierige Lage gebracht. Wie das Regime wichtige Schutzmechanismen gegen mögliche Einnahmerückgänge abgebaut hat, kann man in dem FIEM Beitrag nachlesen.
Es ist zu erwarten, dass die öffentliche Verwaltung aufgrund der wegfallenden Einschränkung der Kreditbesicherung in Zukunft einen starken Anreiz erleben wird, die Summe der öffentlichen Verschuldung drastisch zu vergrößern.
Der Monatsbericht des Banco Central de Venezuela (Februar) zeigt, dass allein in den ersten zwei Monaten von 2009, bei Gegenüberstellung von regelmäßigen Einnahmen und Ausgaben, die Zentralregierung ein Defizit von 2,4 Mrd. US$ (zum ofiziellen Wechselkurs) zu verzeichnen hat.
Währen die realen Einnahmen in diesem Zeitraum um 42% schrumpften, gingen die realen Ausgaben um 29% zurück. Der Rückgang der Mittelzuflüsse lässt sich zu einem großen Anteil durch die Verringerung der Erdölexporteinnahmen erklären.
Um dieser Lage Herr zu werden, kürzte die Regierung den Haushalt um 5%, erhöhte die Mehrwertsteuer um 30% auf 12% und griff auf eine interne Neuverschuldung von ca. 17,3 Mrd. US$ zurück, um den Haushalt 2009 (72,8 Mrd. US$) auszugleichen.
Aber dies scheint nicht zu reichen. Gleichzeitig versucht Chávez durch internationale Abkommen über Kredite gegen Öllieferungen an mehr Bargeld zu kommen. Das kürzlich abgeschlossene Abkommen mit Brasiliens Banco Nacional de Desarrollo Económico y Social (Bndes), das die vereinbarte Kreditsumme direkt mit den venezolanischen Öllagerstätten besichert, soll den bedrohlichen Verlauf der verzweifelten Suche nach Mitteln belegen.
Venezuela erhält von Bndes ein Darlehen in Höhe von 4,3 Mrd. US$. Als Gegenleistung - und hier weicht Chávez von seiner etablierten Praxis ab - wird nicht eine regelmäßige Öllieferung zu festgelegtem Preis vereinbart, sondern direkt Teile der Erdöl-Lagerstätten im Orinoco-Feld als Sicherheit geboten.
Strategisch sehr vorteilhaft kann Brasilien die abnehmenden Einnahmen Venezuelas nutzen. Die vielen Milliarden Dollar, die zur Finanzierung und Aufrechterhaltung der vielen bolivarischen Missionen und diverser Projekte dienen werden, zeigen, wie wenig nachhaltig und kostspielig diese ausgelegt sind. Brasilien profitiert zusätzlich dadurch, dass das gegebene Geld gleich wieder in Projekte investiert wird, die von brasilianischen Unternehmen durchgeführt werden. So ist z. B. die brasilianische Firma Odebrecht mit dem Ausbau des Netzes der Metro von Caracas beauftragt - das Geld fließt gleich wieder zurück nach Brasilien. Zusätzlich hat sich Brasilien die Zusage gesichert, dass brasilianische Unternehmen - im Gegensatz zu anderen internationalen Unternehmen - nicht durch Chávez Enteignungswut betroffen werden. Firmen aus dem politisch verbündeten Argentinien, die in Venezuela operierten, genossen dieses Privileg nicht.
Der beklemmendste Aspekt an diesem Abkommen ist jedoch, dass zu seiner Erfüllung das venezolansiche Regime den Sinn des Gesetzes der öffentl. Finanzverwaltung ignoriert und sich zu einem offenkundigen Verfassungsbruch bewegen lässt
Das geltende Gesetz der öffentl. Finanzverwaltung legte in Artikel 93 fest, dass die staatliche Verwaltung keine Kreditgeschäfte eingehen darf, die mit nationalen Vermögenswerten oder Einnahmen besichert werden. Die Nationalversammlung hat im Eilverfahren dem Gesetz einen Passus hinzugefügt, die diese Einschränkung nach Belieben aufhebt.
Dies ist ein übliches Manöver der Gesetzesmaßschneiderei durch Chávez' Gehilfen in der Legislative und leider mittlerweile nicht weiter aufsehenerregend. Was kritisch bleibt, ist ein weiterer Bruch mit der Verfassung: Artikel 12 der Verfassung Venezuelas definiert die nationalen Lagerstätten für Erdöl und andere Bodenschätze als nicht übertragbar ("inalienables e imprescriptibles").
Diese weitere Verletzung von Geist und Wortlaut der Verfassung durch das Regime zum Erhalt eines dringend benötigten externen Kredits zeigt die Verzweiflung der Staatsführung. Bislang hat man, wann immer möglich, Maßnahmen in das Gewand der Legalität zu kleiden versucht, um die inneren Verhältnisse nach den Vorgaben und Vorstellungen des comandante zu gestalten. Jetzt lässt man sich schon durch internationale Kreditzusagen dazu berwegen...
Die vergangene Wirtschaftspolitik, die offenbar zu keinem Zeitpunkt am der langfristigen Stabilität der Volskwirtschaft orientiert war, hat das Land in eine derart schwierige Lage gebracht. Wie das Regime wichtige Schutzmechanismen gegen mögliche Einnahmerückgänge abgebaut hat, kann man in dem FIEM Beitrag nachlesen.
Es ist zu erwarten, dass die öffentliche Verwaltung aufgrund der wegfallenden Einschränkung der Kreditbesicherung in Zukunft einen starken Anreiz erleben wird, die Summe der öffentlichen Verschuldung drastisch zu vergrößern.
Montag, 1. Juni 2009
¿Dólares? No hay, really... [update]
Die prekäre Situation der Devisenreserven und -zuteilung, die ich in diesem Beitrag beschrieben habe, hat sich verschärft. CADIVI hat den Maximalbetrag, den Inländer monatlich als Transfer an Verwandte im Ausland überweisen dürfen von US$ 1800 auf US$ 900 reduziert. Davon dürfen maximal US$ 300 pro Empfänger anfallen. Wer nur einen Verwandten im Ausland hat, darf also nur US$ 300 überweisen.
Wer verwandt ist, hat CADIVI auch gleich definiert. Geschwister fallen nicht unter die Definition.
Das Transaktionsvolumen auf dem illegalen Parallelmarkt dürfte nun noch weiter zunehmen. Sofern das Staatsunternehmen PDVSA nicht den Schwarzmarkt noch stärker mit Schattendollar bedient, dürfte eine weitere rasante Abwertung des Bolívar, wie sie in einem echten Wechselkurs am Schwarzmarkt abzulesen ist, deutlich zunehmen.
Nicht zu beneiden sind junge Venezolaner, die im Ausland eine Ausbildung zu bezahlen haben und auf mickrige US$ 300 angewiesen sind, weil CADIVI nun einseitig beschließt wieviel des selbst hart erwirtschafteten Geldes man wofür verwenden darf.
Wer verwandt ist, hat CADIVI auch gleich definiert. Geschwister fallen nicht unter die Definition.
Das Transaktionsvolumen auf dem illegalen Parallelmarkt dürfte nun noch weiter zunehmen. Sofern das Staatsunternehmen PDVSA nicht den Schwarzmarkt noch stärker mit Schattendollar bedient, dürfte eine weitere rasante Abwertung des Bolívar, wie sie in einem echten Wechselkurs am Schwarzmarkt abzulesen ist, deutlich zunehmen.
Nicht zu beneiden sind junge Venezolaner, die im Ausland eine Ausbildung zu bezahlen haben und auf mickrige US$ 300 angewiesen sind, weil CADIVI nun einseitig beschließt wieviel des selbst hart erwirtschafteten Geldes man wofür verwenden darf.
Von schwachen Ideen
Selten wurde das Land durch den Besuch von international bekannten Intellektuellen so bewegt wie in den vergangenen Tagen. Eine ansonten nicht außergewöhnliche oder spektakuläre Konferenz, zu der der liberal eingestellte Think Tank Centro de Divulgación del Conocimiento Económico para la Libertad (CEDICE) illustre Gäste geladen hatte, löste schon im Vorfeld Drohungen seitens des Regimes aus. So wurde in den Regierungssendern laut darüber nachgedacht, prominenten Intellekuellen die Einreise zu verbieten. Als hinreichender Grund sollte die "Tatsache" ausreichen, dass die Besucher (unter Ihnen auch Álvaro und Mario Vargas Llosa) angebliche Vertreter der ultrakonservativen Rechten seien und das CEDICE-Forum als Plattform zur neoliberalen Agitation gegen die Staatsführung diene.
Eine Zusammenfassung der Ereignisse um dieses Treffen sollen an dieser Stelle als Beleg des bananenrepublikanischen Charakters Venezuelas und der berechtigten Beunruhigung des Regimes dienen.
Nach den schrillen Warnungen durch Regierungsstellen und -medien, die Besucher nicht einreisen zu lassen oder umgehend auszuweisen, wenn sie den Präsidenten beleidigen sollten ("beileidigen" meint hier "kritisieren"), wundert es nicht, dass Álvaro Vargas Llosa schon bei seiner Einreise am Flughafen Schikanen durch Offizielle ausgesetzt war.
Während der Tage des Forums kamen noch organisierte Proteste von Regierungsanhängern hinzu, die scheinbar die Konferenz für eine Art Destabiliserungsversuch der internationalen Rechten hielten und somit eigentlich nur ihre Unwissenheit in der Angelegenheit offenbarten.
Dies rückte das diesjährige Treffen nur noch um so stärker in den Fokus.
Gleichzeitig fand anlässlich des 10jährigen Jubiläums der sonntäglichen TV-Show des Präsidenten ein vier Tage dauernder Sendungsmarathon derselben statt. Hugo Chávez kündigte an, vier Tage lang (mit kurzen Unterbrechungen) die Zuschauer mit extra vielen Stunden Selbstdarstellung beglücken zu wollen. Damit es auch ja keiner verpasst, ordnete er schon am ersten Abend an, die Sendung per cadena (Sendergleichschaltung) stundenlang auf jedem Programm (privaten und öffentlichen TV- und Rundfunksender) ausstrahlen zu lassen. Das Instrument der cadena diente seit jeher dazu, die Nation über wichtige relevante Ereignisse zu unterrichten. Seit Chávez wird die an sich schon fragliche Prozedur - wie an diesem Wochenende - öfter missbraucht.
Und auch das CEDICE-Forum war Thema in der Präsidentenshow. Für alle überraschend lud Hugo Chávez die angereisten Intellektuellen, die sich vor allem für den Schutz von Meinungsfreiheit und privatem Eigentum einsetzen, ein, in seiner Live-Sendung eine Debatte zu führen. Fast umgehend nahmen die Gäste in einer einberufenen Pressekonferenz die Einladung an, unter folgenden Bedingungen: Sie würden nicht alle teilnehmen, sondern einen unter ihnen auswählen, um direkt "eins zu eins" und mit gleichen Anteilen an Redezeit mit dem Präsidenten zu debattieren. Der Prominenteste, Mario Vargas Llosa, wurde benannt. Sie sagten ihre Teilnahme ausserdem nur zu, wenn die Debatte mit dem Präsidenten stattfände. Mit seinen Anhängern, so fügten sie hinzu, setzten sie sich schon täglich auch in ihren jeweiligen Ländern auseinander. Dazu müssten sie nicht nach Venezuela kommen.
Was nun folgte, ist ein peinlicher Beleg für die moralische, sachliche und logische Unzulänglichkeit des chavistischen politischen Konzepts und seiner Vertreter. Der Präsident sagte zu, kurz darauf wieder ab, verwies auf ein eigens dafür eingerichtetes "fortschrittliches" Forum, das die Debatte führen sollte und in welcher er nur moderierend teilnehmen würde (er debattiere nur mit Präsidenten, "spiele in einer hohen Liga"). Und dann: "Aus technischen Gründen wird die Sendung des Präsidenten bis auf weiteres ausgesetzt". El presidente arrugó, der Präsident kneift, wie der venezolanische Volksmund es ausdrückte.
Die für Samstag und Sonntag angesetzten Termine wurden ohne weitere Angabe von Grüden gestrichen. Evo Morales, der bolivianische Präsident und politischer Verbündeter Chávez', der als Gast für Sonntag erwartet wurde, kam nicht zu Besuch. Selbst die Amtsreise nach El Salvador ließ Hugo Chávez absagen.
Eine Sendung, die in den letzten zehn Jahren beinahe jeden Sonntag ausgestrahlt wurde und dessen Sender mittlerweile eine der stärksten Infrastrukturen von Anlagen und Equipment besitzt, muss die Feigheit des Regierungschefs und seine mögliche Einsicht, dass der brilliante Vargas Llosa die in sich nicht schlüssig und vernünftigen politischen Konzepte des Chavismus mit Leichtigkeit auseinandergenommen hätte, hinter technischen Problemen verbergen. Für einen Präsidenten, der seine Sendung trotz Krankheit und anderer Beeinträchtigungen immer präsentiert hat und der immer bestrebt ist, Misstände nicht sich selbst zurechnen zu lassen, der einzige Weg einer würdelosen Flucht vor einer Konfrontation, zu der er selbst aufgerufen hat.
Mario Vargas Llosa kommentierte das in seinen Augen offenbar unseriöse Angebot des Präsidenten gegenüber CNN.
Chávez Amtsgebahren ist, ebenso wie seine mehrstündige Sendung im Grunde ein großer Monolog. Der Erfahrung entwöhnt, zu argumentieren, auf andere einzugehen, zu antworten und v. a. zuzuhören, scheint er wohl doch noch ausreichend Realitätssinn zu besitzen, um die schwäche seiner Ideen zu erahnen.
Mit einem Land, das in den letzten zehn Jahren mit voller Wucht und systematisch unsystematisch an die Wand gefahren wurde und einer Politik, die in erster Linie am dauerhaften Macherhalt des comandante ausgerichtet ist, bleibt nichts, was einer vernunftorientierten und logischen Auseinandersetzung standgehalten hätte.
Ein System, das auf einer schwachen Idee aufbaut, ist gezwungen, sich mit Berliner Mauern, Stacheldraht, Propaganda, Verfolgung von Andersdenkenden (man bedenke die große Anzahl politischer Gefangener der Revolution) und der Verweigerung einer Debatte mit einem möglicherweise schlüssigerem und somit gefährlichen System zu schützen.
Gerade dem Vertrauen seiner Anhänger versetzt der Präsident einen schweren Schlag. In der Opposition wundert sich niemand mehr über die Mangelhaftigkeit des politischen Konzepts. Aber der bittere Beigeschmack eines feigen Ausweichens des Präsidenten könnte unter dem einfachen Anhänger mehr Zweifel an dem strahlenden Idol säen als jede Rede eines oppositionellen Kandidaten.
Diese Offenbarung ist dank des vom chavismo selbst initiierten Medienrummels auch im großen internationalen Rahmen aufgenommen worden. Die Zeitungen des Kontinents und Europas schildern die Rezeption von dem unrühmlichen Tag, cuando el presidente arrugó.
Eine Zusammenfassung der Ereignisse um dieses Treffen sollen an dieser Stelle als Beleg des bananenrepublikanischen Charakters Venezuelas und der berechtigten Beunruhigung des Regimes dienen.
Nach den schrillen Warnungen durch Regierungsstellen und -medien, die Besucher nicht einreisen zu lassen oder umgehend auszuweisen, wenn sie den Präsidenten beleidigen sollten ("beileidigen" meint hier "kritisieren"), wundert es nicht, dass Álvaro Vargas Llosa schon bei seiner Einreise am Flughafen Schikanen durch Offizielle ausgesetzt war.
Während der Tage des Forums kamen noch organisierte Proteste von Regierungsanhängern hinzu, die scheinbar die Konferenz für eine Art Destabiliserungsversuch der internationalen Rechten hielten und somit eigentlich nur ihre Unwissenheit in der Angelegenheit offenbarten.
Dies rückte das diesjährige Treffen nur noch um so stärker in den Fokus.
Gleichzeitig fand anlässlich des 10jährigen Jubiläums der sonntäglichen TV-Show des Präsidenten ein vier Tage dauernder Sendungsmarathon derselben statt. Hugo Chávez kündigte an, vier Tage lang (mit kurzen Unterbrechungen) die Zuschauer mit extra vielen Stunden Selbstdarstellung beglücken zu wollen. Damit es auch ja keiner verpasst, ordnete er schon am ersten Abend an, die Sendung per cadena (Sendergleichschaltung) stundenlang auf jedem Programm (privaten und öffentlichen TV- und Rundfunksender) ausstrahlen zu lassen. Das Instrument der cadena diente seit jeher dazu, die Nation über wichtige relevante Ereignisse zu unterrichten. Seit Chávez wird die an sich schon fragliche Prozedur - wie an diesem Wochenende - öfter missbraucht.
Und auch das CEDICE-Forum war Thema in der Präsidentenshow. Für alle überraschend lud Hugo Chávez die angereisten Intellektuellen, die sich vor allem für den Schutz von Meinungsfreiheit und privatem Eigentum einsetzen, ein, in seiner Live-Sendung eine Debatte zu führen. Fast umgehend nahmen die Gäste in einer einberufenen Pressekonferenz die Einladung an, unter folgenden Bedingungen: Sie würden nicht alle teilnehmen, sondern einen unter ihnen auswählen, um direkt "eins zu eins" und mit gleichen Anteilen an Redezeit mit dem Präsidenten zu debattieren. Der Prominenteste, Mario Vargas Llosa, wurde benannt. Sie sagten ihre Teilnahme ausserdem nur zu, wenn die Debatte mit dem Präsidenten stattfände. Mit seinen Anhängern, so fügten sie hinzu, setzten sie sich schon täglich auch in ihren jeweiligen Ländern auseinander. Dazu müssten sie nicht nach Venezuela kommen.
Was nun folgte, ist ein peinlicher Beleg für die moralische, sachliche und logische Unzulänglichkeit des chavistischen politischen Konzepts und seiner Vertreter. Der Präsident sagte zu, kurz darauf wieder ab, verwies auf ein eigens dafür eingerichtetes "fortschrittliches" Forum, das die Debatte führen sollte und in welcher er nur moderierend teilnehmen würde (er debattiere nur mit Präsidenten, "spiele in einer hohen Liga"). Und dann: "Aus technischen Gründen wird die Sendung des Präsidenten bis auf weiteres ausgesetzt". El presidente arrugó, der Präsident kneift, wie der venezolanische Volksmund es ausdrückte.
Die für Samstag und Sonntag angesetzten Termine wurden ohne weitere Angabe von Grüden gestrichen. Evo Morales, der bolivianische Präsident und politischer Verbündeter Chávez', der als Gast für Sonntag erwartet wurde, kam nicht zu Besuch. Selbst die Amtsreise nach El Salvador ließ Hugo Chávez absagen.
Eine Sendung, die in den letzten zehn Jahren beinahe jeden Sonntag ausgestrahlt wurde und dessen Sender mittlerweile eine der stärksten Infrastrukturen von Anlagen und Equipment besitzt, muss die Feigheit des Regierungschefs und seine mögliche Einsicht, dass der brilliante Vargas Llosa die in sich nicht schlüssig und vernünftigen politischen Konzepte des Chavismus mit Leichtigkeit auseinandergenommen hätte, hinter technischen Problemen verbergen. Für einen Präsidenten, der seine Sendung trotz Krankheit und anderer Beeinträchtigungen immer präsentiert hat und der immer bestrebt ist, Misstände nicht sich selbst zurechnen zu lassen, der einzige Weg einer würdelosen Flucht vor einer Konfrontation, zu der er selbst aufgerufen hat.
Mario Vargas Llosa kommentierte das in seinen Augen offenbar unseriöse Angebot des Präsidenten gegenüber CNN.
Chávez Amtsgebahren ist, ebenso wie seine mehrstündige Sendung im Grunde ein großer Monolog. Der Erfahrung entwöhnt, zu argumentieren, auf andere einzugehen, zu antworten und v. a. zuzuhören, scheint er wohl doch noch ausreichend Realitätssinn zu besitzen, um die schwäche seiner Ideen zu erahnen.
Mit einem Land, das in den letzten zehn Jahren mit voller Wucht und systematisch unsystematisch an die Wand gefahren wurde und einer Politik, die in erster Linie am dauerhaften Macherhalt des comandante ausgerichtet ist, bleibt nichts, was einer vernunftorientierten und logischen Auseinandersetzung standgehalten hätte.
Ein System, das auf einer schwachen Idee aufbaut, ist gezwungen, sich mit Berliner Mauern, Stacheldraht, Propaganda, Verfolgung von Andersdenkenden (man bedenke die große Anzahl politischer Gefangener der Revolution) und der Verweigerung einer Debatte mit einem möglicherweise schlüssigerem und somit gefährlichen System zu schützen.
Gerade dem Vertrauen seiner Anhänger versetzt der Präsident einen schweren Schlag. In der Opposition wundert sich niemand mehr über die Mangelhaftigkeit des politischen Konzepts. Aber der bittere Beigeschmack eines feigen Ausweichens des Präsidenten könnte unter dem einfachen Anhänger mehr Zweifel an dem strahlenden Idol säen als jede Rede eines oppositionellen Kandidaten.
Diese Offenbarung ist dank des vom chavismo selbst initiierten Medienrummels auch im großen internationalen Rahmen aufgenommen worden. Die Zeitungen des Kontinents und Europas schildern die Rezeption von dem unrühmlichen Tag, cuando el presidente arrugó.
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