Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Mittwoch, 25. Februar 2009

Chávez und der Fluch der Monokultur

Wie es sich für eine echte Bananenrepublik gehört, entstammen die weitaus größten Einnahmen aus dem Export der Fokussierung auf ein einziges Produkt. In Bananenrepubliken sind es eben Bananen (oder ähnliche unverarbeitete Feldfrüchte), in der república del petróleo Venezuela sattdessen eine andere Gabe des heimischen Bodens: Erdöl. Und obwohl hier vermeintlich sehr unterschiedliche Rohstoffe namensgebend sind, führt die jeweilige Monokultur in beiden Fällen zu den selben Zusammenhängen, die dem Spottnamen "Bananenrepublik" seine Bedeutung gegeben haben.

Im Falle Venezuelas sollten wir zunächst Abstand von der Idee nehmen, es handle sich um ein "lateinamerikanischen Staat". Diese Kategorisierung unterstellt eine gewisse Vergleichbarkeit mit anderen Ländern Lateinamerikas, die jedoch recht begrenzt ist. Venezuela ist in erster Linie ein Erdölstaat. Seit jeher beeinflussen die Preise für Petroleum unmittelbar und fast ausschließlich die Einnahmen der Republik. Die Zeiten, in denen auch Güter wie Kakao, Kaffee oder andere Bodenschätze maßgeblichen Anteil an Venezuelas Außenwirtschaft hatten, sind vergangen. Spätestens seit der Machtübernahme durch Hugo Chávez 1999 spielen Einnahmen aus anderen Bereichen als dem Ölsektor keine Rolle mehr. Schlimmer noch: Das Land ist stärker als je zuvor den Schwankungen des Ölpreises ausgesetzt, während es gleichzeitig andere Einnahmequellen versiegen lässt.

Es ist wichtig zu verstehen, dass diese gefährliche Ölpreis-"Exposure" nicht allein aus dem riesigen Anteil der Ölverkäufe an den gesamten Export-Einnahmen resultiert (eine systematische Eigenschaft seit dem frühen 20. Jahrhundert). Viel bedrohlicher ist die Aufweichung und Beschädigung von Schutzmechanismen, die in der Vergangenheit entwickelt wurden, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu gewährleisten, wenn ein sinkender Ölpreis die Einnahmen reduziert. Ein solcher Mechanismus war der 1998 aufelegte FIEM, (Fondo de Inversión para la Estabilización Macroeconómica, Investitionsfond zur makroökonomischen Stabilisierung). Das Konzept ist denkbar einfach: Liegt der heutige Ölpreis über dem Durchschnittspreis der letzten 5 Jahre, so wird der darüberhinaus erwirtschaftete US$ Überschuss in den FIEM eingezahlt. Liegt der heutige Ölpreis unter dem Durchschnitt der letzten 5 Jahre, zahlt der Fond den Differenzbetrag bis zum Durchschnittspreis (und nur den) aus. Der Fonds sollte somit automatisch eine von den Devisenreserven getrennte Dollar-Rücklage bilden, die in "schlechten Zeiten" trotz niedriger Ölpreise die wegfallenden Einnahmen kompensiert hätte, damit der Staat zunächst weiterhin einen angemessenen Haushalt vorlegen kann und der negative Preis-Schock nicht unmittelbar auf die gesamte Volkswirtschaft durchschlägt.
Seit Chávez' Amtsantritt 1999 ist der Ölpreis dank eines Booms kontinuierlich gestiegen. Die Petrodollarflut in die Staatskasse verwendete er u. a. dazu, die bekannten misiones zu errichten, Rüstungskäufe in Russland und China zu tätigen, (illegalerweise) Parteiwerbung zu bezahlen, Kubas marode Wirtschaft durch lächerlich billige Öllieferungen zu subventionieren und sonst bei jeder Gelegenheit mit diesem oder jenem Land ebenfalls extrem günstige Erdöl-Lieferabkommen (für das jeweils andere Land) abzuschliessen.
Cagado en plata konnte Chávez problemlos viele soziale Projekte, für die er auch in Europa bewundert wird, initiieren (dass diese "sozialen" Unternehmungen in Wahrheit langfrisitg in erdrückende und lähmende soziale Kosten enden werden und Chávez somit "seinem" Volk mehr Schaden als Nutzen angedeihen lässt, sei an anderer Stelle erörtert). Leider hat Chávez nach 2002 nicht nur die Führungsriege des staatlichen Ölkonzerns Petróleos de Venezuela S. A. (PDVSA) durch Personen ersetzt, deren Qualifikation sich überwiegend umgekehrt proportional zu ihrer Ergebenheit gegenüber dem Präsidenten verhält (mit dem Ergebnis, dass die Förderwirtschaft materiell wie personell in schlimmem Zustand ist), sondern zuvor auch begonnen, den FIEM systematisch trockenzulegen. Die hinterlegten Reserven reichen heute nicht einmal mehr aus, um die Haushaltsaugaben für eine Woche zu decken (unter 1 Mrd US$).

Caracas Chronicles FIEM-Artikel zeigt, wie sich der Mittelbestand des Fonds zu Beginn des Jahres 2009 auf ca. 116 Mrd. US$ belaufen hätte, wenn die derzeitige Regierung die Funktion dieser Lebensversicherung des Landes nicht außer Kraft gesetzt hätte. Der ab 2009 erwartete niedrige Rohölpreis wird zu starken Mindereinnahmen führen. Ein funktionierender FIEM hätte locker die allein für 2009 entstehende Ausgabenlücke von ca. 25 Mrd. US$ ausgleichen können und noch einen bedeutsamen Mittelbestand aufgewiesen. Business as usual trotz fallender Ölpreise.
Zusätzlich wäre Venezuela etwas unabhängiger von den im Rahmen der noch lange nicht ausgestandenen Finanzkrise schwer und nur teuer zu bekommenden Krediten. Die Regierung führt stets irgendwelche obskuren "weiteren Reserven" an, deren Bestand und Zusammensetzung sie noch immer zu veröffentlichen versäumt. Zwar sind auch die internationalen Währungsreserven der Zentralbank Venezuelas, des Banco Central de Venezuela (BCV) in den letzten Jahren gestiegen, deren Bedeutung aber gering ist im Vergleich zu "hartem, echtem Geld" aus dem FIEM. Die Devisenreserven der Zentralbank dienen ja schon zur Deckung des im Inland umlaufenden Geldes (Bolívares) - dieses Geld ist also schon "ausgegeben". Caracas Chronicles beschreibt es treffend:
"And those [FIEM] would be hard savings, money the government actually has available to spend, which is fundamentally different from Central Bank foreign currency reserves, which represent dollars the government has already spent and so aren't really rainy-day funds at all, no matter what hard-headed chavistas say." (Caracas Chronicles)
Nachdem durch präsidiale Dekrete der Mechanismus des FIEM überbrückt wurde, entzog die Regierung ihm ständig Mittel und löste sich von der automatischen anteiligen Einzahlung von Überschüssen aus den Erdölverkäufen durch PDVSA.
2003 ersetze der FEM (das Wort Inversión wurde passenderweise gestrichen) den bisherigen FIEM. Der Fonds schöpft nur noch in stark reduziertem Maß Überschüsse ab, schüttet diese aber auch umgehend wieder an die Kontoführer, PDVSA und Finanzministerium, aus. Das ausgeschüttete Geld fließt sogleich wieder in Projekte und andere laufende Haushaltsposten. Eine Rücklage gibt es nicht mehr.


Klicken zum Vergrößern. Die Grafiken zeigen die Entwicklung des Mittelbestandes im FIEM/FEM, so wie er tatsächlich verlaufen ist (real) verglichen mit der Entwicklung, die er entsprechend seiner Vorgaben von 1998 genommen hätte ohne modifiziert zu werden (ideal). Die unteren Grafiken verdeutlichen die Entwicklung des idealen FIEM im Einklang mit der Ölpreisentwicklung und die des tatsächlichen FIEM/FEM, losgelöst vom Ölpreis (Eigene Darstellung basierend auf Daten von OPEC, BCV und Caracas Chronicles).

Es lässt sich also folgendes festhalten:
Venezuela, die república del petróleo, hat seit der Machtergreifung der sogenanten revolución bolivariana die Äbhängigkeit des Wohles der Nation vom schwankenden Erdölpreis im Besonderen und von stetig sinkenden Vorkommen im Allgemeinen durch eine noch stärkere Fokussierung auf Erdöl als Haupteinnahmequelle massiv verstärkt.
Gleichzeitig hat sie die "Abhärtung" der Volkswirtschaft von starken und andauernden Ölpreisänderungen in Form eines FIEM beseitigt und stattdessen Unmengen von Geld für soziale und andere Projekte ausgegeben, die zwar durchaus auch unmittelbar und kurzfrisitg positive Effekte hatten, aber leider ausschließlich aus populistischen Erwägungen geboren sind und keinerlei Nachhaltigkeit entfalten (z. B. die misiones).
Die große Menge cash, die der Regierung dank der Rekordölpreise zur Verfügung stand wurde nicht verwendet, um signifikante und auf Dauer angelegte strukturelle Verbesserungen vorzunehmen. Stattdessen wurden Höchstpreise für eine Vielzahl von Basisgütern festgelegt, die in den staatlichen Mercal-Läden angeboten werden und Importe dieser Güter im billiger anbietenden Ausland durch Petrodollars subeventioniert. Ergebnis: Die einheimische Wirtschaft für diese Güter ist im Vergleich nicht wettbewerbsfähig und verendet langsam und qualvoll, während die vielen Milliarden Dollar leider für "Brot und Spiele" verschleudert wurden anstatt sie in eine Änderung oder Verbesserung der wirtschaflichen Infrastruktur fliessen zu lassen.
Versäumt wurde auch, und zwar leider auch von der Opposition, deutlich herauszustellen, dass die aufgelegten sozialen Projekte nicht weiterlaufen können, wenn das Geld plötzlich nicht mehr so reichlich zur Verfügung steht. Die Regierung hat sämtliche Aufwendungen für ihre Vorhaben allein an die schwankenden (und nun fallenden) Öleinnahmen gebunden. Anstandshalber wäre geboten, dem Volk mitzuteilen, dass möglicherweise harte, sehr harte Zeiten anbrechen könnten.

Seit Chávez gilt für das Land wieder das, was auch für die Karikatur einer auf Monokultur basierenden Bananenrepublik gilt. Mit dem Unterschied, dass Venezuela dank der Schätze, die die Natur ihr zugedacht hat potentiell (und zwar leider bislang weiterhin nur potentiell) sehr reich ist.

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