Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Montag, 1. Juni 2009

Von schwachen Ideen

Selten wurde das Land durch den Besuch von international bekannten Intellektuellen so bewegt wie in den vergangenen Tagen. Eine ansonten nicht außergewöhnliche oder spektakuläre Konferenz, zu der der liberal eingestellte Think Tank Centro de Divulgación del Conocimiento Económico para la Libertad (CEDICE) illustre Gäste geladen hatte, löste schon im Vorfeld Drohungen seitens des Regimes aus. So wurde in den Regierungssendern laut darüber nachgedacht, prominenten Intellekuellen die Einreise zu verbieten. Als hinreichender Grund sollte die "Tatsache" ausreichen, dass die Besucher (unter Ihnen auch Álvaro und Mario Vargas Llosa) angebliche Vertreter der ultrakonservativen Rechten seien und das CEDICE-Forum als Plattform zur neoliberalen Agitation gegen die Staatsführung diene.
Eine Zusammenfassung der Ereignisse um dieses Treffen sollen an dieser Stelle als Beleg des bananenrepublikanischen Charakters Venezuelas und der berechtigten Beunruhigung des Regimes dienen.

Nach den schrillen Warnungen durch Regierungsstellen und -medien, die Besucher nicht einreisen zu lassen oder umgehend auszuweisen, wenn sie den Präsidenten beleidigen sollten ("beileidigen" meint hier "kritisieren"), wundert es nicht, dass Álvaro Vargas Llosa schon bei seiner Einreise am Flughafen Schikanen durch Offizielle ausgesetzt war.
Während der Tage des Forums kamen noch organisierte Proteste von Regierungsanhängern hinzu, die scheinbar die Konferenz für eine Art Destabiliserungsversuch der internationalen Rechten hielten und somit eigentlich nur ihre Unwissenheit in der Angelegenheit offenbarten.
Dies rückte das diesjährige Treffen nur noch um so stärker in den Fokus.

Gleichzeitig fand anlässlich des 10jährigen Jubiläums der sonntäglichen TV-Show des Präsidenten ein vier Tage dauernder Sendungsmarathon derselben statt. Hugo Chávez kündigte an, vier Tage lang (mit kurzen Unterbrechungen) die Zuschauer mit extra vielen Stunden Selbstdarstellung beglücken zu wollen. Damit es auch ja keiner verpasst, ordnete er schon am ersten Abend an, die Sendung per cadena (Sendergleichschaltung) stundenlang auf jedem Programm (privaten und öffentlichen TV- und Rundfunksender) ausstrahlen zu lassen. Das Instrument der cadena diente seit jeher dazu, die Nation über wichtige relevante Ereignisse zu unterrichten. Seit Chávez wird die an sich schon fragliche Prozedur - wie an diesem Wochenende - öfter missbraucht.

Und auch das CEDICE-Forum war Thema in der Präsidentenshow. Für alle überraschend lud Hugo Chávez die angereisten Intellektuellen, die sich vor allem für den Schutz von Meinungsfreiheit und privatem Eigentum einsetzen, ein, in seiner Live-Sendung eine Debatte zu führen. Fast umgehend nahmen die Gäste in einer einberufenen Pressekonferenz die Einladung an, unter folgenden Bedingungen: Sie würden nicht alle teilnehmen, sondern einen unter ihnen auswählen, um direkt "eins zu eins" und mit gleichen Anteilen an Redezeit mit dem Präsidenten zu debattieren. Der Prominenteste, Mario Vargas Llosa, wurde benannt. Sie sagten ihre Teilnahme ausserdem nur zu, wenn die Debatte mit dem Präsidenten stattfände. Mit seinen Anhängern, so fügten sie hinzu, setzten sie sich schon täglich auch in ihren jeweiligen Ländern auseinander. Dazu müssten sie nicht nach Venezuela kommen.

Was nun folgte, ist ein peinlicher Beleg für die moralische, sachliche und logische Unzulänglichkeit des chavistischen politischen Konzepts und seiner Vertreter. Der Präsident sagte zu, kurz darauf wieder ab, verwies auf ein eigens dafür eingerichtetes "fortschrittliches" Forum, das die Debatte führen sollte und in welcher er nur moderierend teilnehmen würde (er debattiere nur mit Präsidenten, "spiele in einer hohen Liga"). Und dann: "Aus technischen Gründen wird die Sendung des Präsidenten bis auf weiteres ausgesetzt". El presidente arrugó, der Präsident kneift, wie der venezolanische Volksmund es ausdrückte.
Die für Samstag und Sonntag angesetzten Termine wurden ohne weitere Angabe von Grüden gestrichen. Evo Morales, der bolivianische Präsident und politischer Verbündeter Chávez', der als Gast für Sonntag erwartet wurde, kam nicht zu Besuch. Selbst die Amtsreise nach El Salvador ließ Hugo Chávez absagen.
Eine Sendung, die in den letzten zehn Jahren beinahe jeden Sonntag ausgestrahlt wurde und dessen Sender mittlerweile eine der stärksten Infrastrukturen von Anlagen und Equipment besitzt, muss die Feigheit des Regierungschefs und seine mögliche Einsicht, dass der brilliante Vargas Llosa die in sich nicht schlüssig und vernünftigen politischen Konzepte des Chavismus mit Leichtigkeit auseinandergenommen hätte, hinter technischen Problemen verbergen. Für einen Präsidenten, der seine Sendung trotz Krankheit und anderer Beeinträchtigungen immer präsentiert hat und der immer bestrebt ist, Misstände nicht sich selbst zurechnen zu lassen, der einzige Weg einer würdelosen Flucht vor einer Konfrontation, zu der er selbst aufgerufen hat.
Mario Vargas Llosa kommentierte das in seinen Augen offenbar unseriöse Angebot des Präsidenten gegenüber CNN.

Chávez Amtsgebahren ist, ebenso wie seine mehrstündige Sendung im Grunde ein großer Monolog. Der Erfahrung entwöhnt, zu argumentieren, auf andere einzugehen, zu antworten und v. a. zuzuhören, scheint er wohl doch noch ausreichend Realitätssinn zu besitzen, um die schwäche seiner Ideen zu erahnen.
Mit einem Land, das in den letzten zehn Jahren mit voller Wucht und systematisch unsystematisch an die Wand gefahren wurde und einer Politik, die in erster Linie am dauerhaften Macherhalt des comandante ausgerichtet ist, bleibt nichts, was einer vernunftorientierten und logischen Auseinandersetzung standgehalten hätte.
Ein System, das auf einer schwachen Idee aufbaut, ist gezwungen, sich mit Berliner Mauern, Stacheldraht, Propaganda, Verfolgung von Andersdenkenden (man bedenke die große Anzahl politischer Gefangener der Revolution) und der Verweigerung einer Debatte mit einem möglicherweise schlüssigerem und somit gefährlichen System zu schützen.

Gerade dem Vertrauen seiner Anhänger versetzt der Präsident einen schweren Schlag. In der Opposition wundert sich niemand mehr über die Mangelhaftigkeit des politischen Konzepts. Aber der bittere Beigeschmack eines feigen Ausweichens des Präsidenten könnte unter dem einfachen Anhänger mehr Zweifel an dem strahlenden Idol säen als jede Rede eines oppositionellen Kandidaten.
Diese Offenbarung ist dank des vom chavismo selbst initiierten Medienrummels auch im großen internationalen Rahmen aufgenommen worden. Die Zeitungen des Kontinents und Europas schildern die Rezeption von dem unrühmlichen Tag, cuando el presidente arrugó.

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