Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Donnerstag, 13. August 2009

Venezuela, eine schlechte Investition

Ausländische Direktinvestitionen in Venezuelas Volkswirtschaft nehmen in den letzten Jahren deutlich ab. Von dem Investitionsboom der Jahre 2004 bis 2008, der Millarden Dollarbeträge an Investitionen nach Lateinamerika brachte, hat Venezuela kaum profitiert. Offenbar ist das Land trotz des hohen Potentials zur Aufnahme von Investitionen eines der uninteressantesten Anlageobjekte.


In Abbildung 1 habe ich den Zustrom von Direktinvestitionen aus dem Ausland (FDI, foreign direct investments) seit 1997 graphisch dargestellt. Sie zeigt einem deutlichen Abwärtstrend (Klicken zum Vergrössern). Seit der Machtübernahme durch Hugo Chávez und seine bolivarische Revolution 1999 erreichte das Niveau des FDI-Zuflusses nie wieder prä-chavistische Höhen. Während der jährliche Durchschnitt der ins Land strömenden Investitionen für die Jahre 1997-99 noch knapp US$ 4,7 Mrd. betrugen, sank dieser in 2000-03 auf ca. US$ 2,8 Mrd. Zwischen 2004 und 2008, als ein wahrer ausländischer Investitionsboom (gemessen in Direktinvestitionsvolumina) lateinamerikanische Länder erreichte, betrug der jährliche Durchschnitt, der nach Venezuela floss nicht einmal mehr US$ 1,2 Mrd.

Aus Abbildung 2 wird ersichtlich, dass Venezuela zwischen 2004 und 2008 insgesamt lediglich US$ 5,8 Mrd. an FDI anziehen konnte, während andere Volkswirtschaften der Region weitaus mehr absorbierten - selbst die kleine Dominikanische Republik nahm mehr FDI auf als die relativ viel grössere Volkswirtschaft Venezuelas.

Die Weltbank hat in ihrem Bericht Doing Business 2009 die Attraktivität von Eröffnung und Durchführung wirtschaftlicher Aktivitäten in 181 Ländern untersucht und in ein Ranking übetragen. Dabei waren verschiedene Aspekte vom allgemeinen Verwaltungsaufwand bis hin zu Rechtssicherheit, Regulierungsdichte, Beschäftigungsrigidität Steuersystem usw (siehe für Details verlinkten Bericht). Venezuela befindet sich im allgemeinen Doing-Business-Index auf Platz 174 von 181, noch deutlich hinter chronisch instabilen, weniger entwickelteren und unsicheren Ländern wie Bolivien, Haiti oder Zimbabwe und den restlichen lateinamerikanischen Volkswirtschaften (siehe Rankingauszug). Die in dem Report beleuchteten Probleme sind eine plausible Erklärung dafür, weshalb kaum noch jemand in einem Land wie Venezuela investieren will oder kann. Die in dem Bericht betrachteten Unzulänglichkeiten erklären nicht nur die vergangene Entwicklung, sondern auch, weshalb gegenwärtig und in der absehbaren Zukunft Venezuela nicht auf dem Radar der Investoren aufleuchtet.

Es gibt keine Unterkategorie des Berichtes, in dessen Ranking Venezuela unter den obersten zehn Länder auftaucht, dafür befindet sich der angeschlagene Ölstaat häufig auf der negativen Hitliste der schlechtesten 10.
So ist Venezuela das Land mit dem schlechtesten Abschneiden verglichen mit der in von mir in Abbildung 3 dargestellten Vergleichsnationen in den Kategorien "Verfahrensschritte und Dauer bis zur Eröffnung eines Betriebes", "Leichtigkeit, Personal einzustellen", "Rigidität der Beschäftigungsregluierung", "Schutz der Rechte des Investors" und "Leichtigkeit, auferlegte Steuern zu zahlen". Gerade im letzten Punkt zeigt sich der bürokratische Moloch Venezuela mit durchschnittlich 70 Steuerzahlungen jährlich und einem individuellen Jahresstundenaufwand zur Erledigung von Steuerangelegenheiten von 864 Stunden. Der lateinamerikanische Durchschnitt bei der Zahl der Steuerzahlungen pro Jahr liegt bei 35, der Stundenaufwand bei 394 - und Lateinamerika ist weltweit schon die Region mit den höchsten Werten! Man beachte, dass in dem gesamten Bericht zusätzlicher inoffizieller Aufwand, wie z. B. nötige Bestechungen, nicht berücksichtigt wurde. Im Falle Venezuelas, wo Korruption schon immer gegenwärtig war, heutzutage zu einem lähmenden Geschwür ausgeartet ist, ist die Schwere dieses Problems nicht zu unterschätzen (mehr dazu an anderer Stelle).

Der hier kurz vorgestellte Weltbankbericht widmet einen großen Teil seiner Untersuchung der Frage nach durchgeführten Reformen zur Erleichterung und Stabilisierung von ausländischen Direktinvestitionen.
Abbildung 4 gibt die für 2007/08 durchgeführten Reformen je Unterkategorie und ihren erleichternden oder erschwerenden Einfluss wieder. Während die meisten Vergleichsnationen Reformen zur Verbesserung des Investitionsklimas durchführten, haben Venezuela und vemeintlich noch rückständigere Nationen wie Bolivien und Zimbabwe Reformen mit nachteiligen Auswirkungen durchgeführt.


Unter Berücksichtigung der dargestellten Fakten, verwundert es doch sehr, dass der zuständige Minister für Handel, Eduardo Samán, am 13. Juli 2009 folgender Satz über die Lippen kommt:
"...somos uno de los mercados más importantes de Latinoamérica, hay un gran deseo de muchas empresas de venir a instalarse en Venezuela porque ha aumentado el poder adquisitivo de nuestro pueblo."
wir sind einer der wichtigsten Märkte Lateinamerikas, es gibt einen starken Wunsch unter [ausl.] Unternehmen, sich in Venezuela niederzulassen, da die Kaufkraft unserer Bevölkerung zugenommen hat.
Venezuela mag zwar ein wichtiger Markt sein, aber mit Blick auf die abnehmenden Direktinvestitionen aus dem Ausland und der Beschreibung der Gründe für ihr häufigeres Ausbleiben, beweist der Minister nichts anderes, als dass der Regierung durch eine bananenrepublikanische Wirtschaftspolitk gelungen ist, selbst einen ansonsten sehr attraktiven Markt vom Investitionsstrom zu isolieren.
Die Behauptung, die Kaufkraft der Venezolaner hätte zugenommen ist ebenfalls ein Statement, dessen sich Herr Samán zur Wahrung seiner Seriosität lieber enthalten hätte. Wie in einem vorigen Beitrag angesprochen, frisst die rasante Inflation derzeit vielmehr die Kaufkraft auf und die zunehmende Abhängigkeiten von Importen (auch dank verfehlter Wechselkurspolitik) substituiert und hemmt produktive Aktivität im Inland.

Der Bericht ist auch durch Offizielle innerhalb des Staatsapparats mit Stellungnahmen bedacht worden. Dabei setzt sich beispielsweise der Contralor General Clodosbaldo Russián (Oberste Verwaltungsaufsicht), der Leiter einer angeblich politisch unabhängigen, autonomen Institution des Staates, in den Regierungsmedien weniger mit dem Inhalt und mehr mit den Autoren des Weltbankberichtes auseinander.
Nachdem er dem Report "methodische und wissenschaftliche Unsauberkeit" vorwirft (ohne klarzustellen, woran dies festzumachen sei), geht er gleich dazu über, die Verfasser aufgrund ihrer angeblichen politischen Einstellung zu attackieren. Die Weltbank insgesamt sei die Inkarnation der extremen rechten Kapitalistenelite auf internationalem Niveau und betreibe auch durch einen der Direktoren (Daniel Kauffman), angeblich erklärter Antichavist und Feind Venezuelas, die negative Präsentation der Republik. Herr Russián weist auf die vielen eingeführten Gesetze und Massnahmen zur Eindämmung von Korruption und Ausweitung der Verwaltungsaufsicht.
Die Generalbundesanwältin Luisa Ortega Díaz geht in ihrer Attacke ad hominem noch einen Schritt weiter. Für sie stünde fest, weshalb Chile in dem Bericht bei der Korruptionsbekämpfung so gut abschneidet: Der Leiter der Recherche ist Chilene! Wenn das die Hauptargumente gegen den Bericht sind, dann haben Frau Ortega, Herr Russián und andere offizielle oder inoffizielle Regimevertreter offenbar sonst keine sachlichen Argumente anzubringen...
Nicht nur machen sich diese zwei Amtsträger mit ihren Äusserungen eher lächerlich, sie zeigen auch wie ihr Verständnis von "Untersuchung" und "Recherche" geartet ist. Im Vordergund steht zunächst nicht die Frage nach dem "was" und einer objektiven Auseinandersetzung, sondern nach dem "wer" und darauf beruhender Disqualifikation. Wer kein chavista ist, kann nicht die Wahrheit sagen. Viele Venezolaner beklagen genau dieses Vorgehen staatlicher Institutionen in ihrem täglichen Leben. Ihre Unabhängigkeit haben diese Herrschaften schon lange verschenkt. Die Anwendung der Regeln erfolgt nicht gleichmässig, sondern in erster Linie nach Zugehörigkeit entweder zum Chavismus oder zu allem anderen (gleichgesetzt mit "konspirativer, rechter, oligarchischer und terroristischer Konterrevolution").

Ich empfehle die Lektüre des Weltbankberichtes. Er ist verständlich verfasst und die Methodik ist ausreichend erläutert. Das Ranking basiert auf objektiveren Kriterien als die zwei genannten Regimevertreter sich vorstellen können.
Der Einwand, die Weltbank sei ein eher neoliberal-global orientiertes Organ, die Kategorien ihres Berichtes ausgerichtet an einer positive Beurteilung von "Liberalisierung" mag zutreffen oder nicht. Fakt ist, dass Venezuela sich in einer angespannten wirtschaftlichen Lage befindet, an der die nationale Wirtschaftspolitik massgeblichen Anteil hat. Ein von der Weltbank als "positiv" vorgestellte Ziel, ausländische Direktinvestitionen zu erleichtern, eröffnet nicht nur den Investoren neue Möglichkeiten, sondern stimuliert auch die Volkswirtschaft, der die Investitionen zufliessen. In letzter Zeit offenbart sich immer deutlicher, wie instabil die venezolanische Wirtschaft ist. Beschäftigung, Staatseinnahmen, Wohlstandswachstum sind Effekte, die Direktinvestitionen durchaus hervorrufen können - und Venezuela dürfte heute kaum noch die Wahl haben, sich diesen zu verweigern.
Solange die momentane Regierung eine Wirtschaftspolitik betreibt, die ihren Zweck verfehlt und hauptsächlich ideologische oder individuelle Interessen verfolgt, bleibt Venezuela eine schlechte Investition.

Montag, 10. August 2009

Freie Medien unter Druck

Zu Monatsbeginn verwirklichte die venezolanische Regierung erste Maßnahmen zur Einschränkung der Medienfreiheit privater Sender im AM- und UKW-Spektrum. Bereits vor einigen Wochen wurde durch den zuständigen Superminister, Diosdado Cabello, die Entziehung der Konzession von rund 240 Sendebetrieben erwogen. Den ersten 34 wurde nun im ersten Schritt zur "Demokratisierung" des Äthers durch die Comisión Nacional de Telecomunicaciones (Conatel), der Cabello vorsteht, mit Verweis auf schwache und rechtlich fragwürdige Gründe die Sendegenehmigung entzogen.
Gleichzeitig sorgt der Vorschlag eines "Gesetzes gegen Mediendelikte", den die Bundesanwältin Luisa Ortega Díaz in einer Gastrede vor der Nationalversammlung vorstellte im In- und Ausland für Befremdung, selbst im chavistischen Lager.

Auf Anordnung von Conatel mussten 34 Radiosender im ganzen Land in der Nacht zum 1. August ihren Sendebetrieb einstellen, während Conatel derzeitig weitere Schliessungen vorbereitet. Cabello kommentierte die zügige Aktion in einer Pressekonferenz:
"Ich habe die Beschlüsse schon unterschrieben. Conatel begibt sich zum Sitz des jeweilgen Senders und teilt der Leitung mit, die Übertragungen sofort einzustellen."
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Sender keinerlei Vergehen gegen die mit der Nutzung der Konzession auf sie Anwendbaren Gesetze begangen haben, welche überlicherweise ein Verwaltungsverfahren durch Conatel rechtfertigen. Der Entzug der Sendeerlaubnis erfolgt mit Verweis darauf, dass die heutigen Konzessionäre nicht mehr mit den ursprünglich Begünstigten übereinstimmen. Oft sind die Konzessionen schon vor sehr langer Zeit vergeben worden und so haben z. B. in einigen Fällen die Erben der erstmalig mit der Konzession Begünstigten den Sendebetrieb weitergeführt - und Conatel war seit jeher in Kenntnis dieser Tatsache, die Konzessionsweiterführung war bislang nie ein rechtlicher Konfliktpunkt. Wäre die Vererbung oder Übertragung von Konzessionen rechtlich problematisch, hätte sich die Regierung bei der Schliessung von RCTV in 2007 viel Mühe ersparen können (Der ursprüngliche Konzessionär war zu dem Zeitpunkt schon länger verstorben und die Erben/Nachfolger in der Verantwortung).
Selbst wenn die Konzession neu verhandelt oder eingezogen werden soll, ist in jedem Staat, der sich nicht nur dem Namen nach 'Rechtsstaat' nennt mindestens ein ordentliches Verwaltungsverfahren, Anhörungen der Betroffenen, vorherige Mitteilung eingeleiteter Prüfungsmassnahmen, die Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung und Übergangsfristen Anforderung an ein solches Vorgehen, besonders dann, wenn die betroffenen Sender sich keiner Übertretung der strengen Mediengesetze schuldig gemacht haben. Ganz im Gegenteil: Cabello weigerte sich ausdrücklich, Beschwerden und Eingaben der betroffenen Sender anzuhören und schliesst Verhandlungen über künftige Entziehungen von Konzessionen aus.

Der eigentliche Grund der Senderschliessung lässt sich vielleicht an den vorhergehenden Äusserungen der Regierungsvertreter und der chavistischen Parteigänger im Zusammenhang mit den in der ersten Schliessungswelle betroffenen Sender ablesen.
Schon seit längerer Zeit greift das Regime wiederholt die privaten Medien wegen ihrer angeblichen falschen, übertrieben kritischen, einseitigen, die Bevölkerung ängstigenden, 'terroristischen' Berichterstattung an.
Ich gestatte mir hier einen kurzen Exkurs, der die Denkweise der Regiungsvertreter nachzeichnet:
Die verkehrte Logik, negative Berichterstattung erfolge ausschliesslich aus der Motivation des Berichtenden ("Verschwörung") und nicht, weil eine Fülle von negativen Umständen vorhanden ist, von denen sich jeder Journalist bequem ein Thema aussuchen kann, belegt exemplarisch die "Informations"ministerin Blanca Eekhout.
Frau Eekhout, einer der vielen schwachen Geister der Regierung, beklagt eine internationale Medienverschwörung gegen Venezuela und verweist auf eine Studie ihres Ministeriums, in der Artikel der internationalen Presse bezüglich der Wiedergabe eines positiven oder negativen Bildes der Regierung Chávez untersucht wurden. So gibt sie zu, dass 50% der betrachteten Artikel ein negatives oder sehr negatives Bild zeichnen, während nur 20% sich neutral oder "informativ" (man beachte die Unterscheidung
negativ oder informativ) äussern. Frau Eekhout setzt offenbar nicht nur Kritik mit Desinformation gleich, sondern geht von einer umgekehrten Kausalität aus: Negative Berichte enstehen nicht etwa, weil Zahl und Schwere der Misstände in Venezuela zunimmt, sondern weil die internationale Presse eine Art geheime Abmachung zur Verunglimpfung der Revolution eingegangen ist. Revolutionäre Logik. Weniger einfältige Menschen hätten an Frau Eekhouts Stelle vielleicht eher geschwiegen, als sich selbst und das durch sie vertretene politische Projekt durch solche Statements noch lächerlicher zu machen.
Von den bis zu 55% der nationalen Senderlandschaft, die von der willkürlichen Schliessung bedroht sind, fallen zunächst sicherlich die dem Regime nicht genehmen Betriebe zum Opfer. So sind schon unter den ersten 34 zum Schweigen gebrachten Rundfunksendern einige, die oppositionellen Politikern Sendezeit eingerichtet hatten (erinnern wir uns daran, dass Hugo Chávez mindestens (!) jeden Sonntag mehrstündig im Staatsfernsehen Monologe führt und nach Belieben Gleichschaltungen anordnet).

Was geschieht mit den durch den Konzessionsentzug freiwerdenden Sendeplatz? Die Frequenzen werden an staatliche Sender oder medios comunitarios (Gemeindesender) übertragen, wobei die Regierung bemüht ist, die Gemeindesender von den "staatlichen" zu unterscheiden, um die Dominanz des Staates unter den verfügbaren Sendern zu verschleiern. Da aber auch die Gemeindesender staatlich finanziert sind und nicht nur organisatorisch, sondern auch von der Gunst des Regimes abhängig sind, bleibt ausgeschlossen, dass einer dieser Sender eine unabhängige Berichterstattung entwickeln kann. Hinzu kommt, dass diese medios comunitarios
in der Regel eine sehr geringe Senderreichweite und mangels Professionalität auch oft minderwertige Programme (häufig nicht einmal ein durchgehendes oder zusammenhängendes Programm) haben. Überregionale Nachrichten werden dort - wenn überhaupt - von den staatlichen Hauptsendern oder Agenturen übernommen.

Wem gereicht dies zum Vorteil? Zunächst einmal nicht den bisherigen Senderbetreibern und den damit verbundenen Arbeitern und Angestellten. Ihr Betrieb hört von heute auf morgen auf zu existieren und das Ausweichen auf internetbasierte Ausstrahlung ist für den Erhalt der Arbeitsplätze unzureichend. Existenzen verlieren ihre Erwerbsgrundlage, während die landesweite Arbeitslosigkeit bereits einen Aufwärtstrend erlebt.
Grösster Nutzniesser ist die politische Bewegung des Präsidenten. Dem Regime unliebsame, in der Bevölkerung mitunter recht populäre Sender gehen off air und wechseln in leicht kontrollierbare, gehorsame Hände. Nachdem die bereits existierenden Staatssender, selbst der TV-Sender TVes mit dem weitreichendsten Sendenetz (zuvor RCTV) ausgestattet, eine geringe Zuschauerquote im einstelligen Prozentbereich erreichen (RCTV vorher ca. 30%), wird durch die grosse "Säuberungsaktion" der freie Sektor noch weiter beschnitten. Offenbar will man den Zuschauer durch Medienmonopolisierung die Alternativen zum regierungskontrollierten Sendeprogramm entziehen. Schliesslich wollen die Staatlichen auch gesehen werden. Unter Demokratisierung muss hier wohl die Zerstörung der Vielfalt zugunsten eines staatlichen Mediengroßgrundbesitzes verstanden werden.
Nach der Übernahme der geschlossenen Sender beträgt die Zahl der direkt oder indirekt regierungskontrollierten Medien 572. Darunter 6 TV-Sender, 2 landesweite Radiosender, eine eigene Nachrichtenagentur, ca. 270 Radiosender, ca. 70 Zeitungen, 2 Telekomfirmen, zahllose Webseiten...

Fast zur gleichen Zeit erschüttert ein Vorschlag zu einem neuen Mediengesetz die Öffentlichkeit. Bundesanwältin Díaz stellt in der Asamblea Nacional (AN) einen unverbindlichen (weil keine Gesetzesinitiativenbefugnis) Entwurf vor, der hier übersetzt zu finden ist. Darin wird ein medienbezogener Straftatbestand so weit und ungenau gefasst, dass willkürlicher Zensur und Verfolgung Tür und Tor geöffnet würden. Es werden Gefägnisstrafen formuliert u. a. für jene, die ein "falsches Bild der Tatsachen" präsentieren, Medienbesitzer werden haftbar für die Äusserungen der Gäste/Interviewpartner gemacht, der Identitätsschutz der Informanten und Quellen wird auch strafbar usw. Wer die Paragraphen überfliegt, wird sich schnell der bedrückenden und orwellschen Natur des Dokuments bewusst. Interessant wäre auch, ob die strengen Masstäbe auch auf die Staatssender zuträfen, da gerade sie ja äusserst parteiisch und hetzend berichten (laut § 11 strafbar). Zwar ist das im Text vorgesehen ("staatlich oder privat"), eine gleichmässige Anwendung des Gesetzes für oder gegen jedermann ist allerdings schon lange nicht mehr üblich in Venezuela....

Die Welle der Empörung über den 17 Paragraphen umfassenden Entwurf, der zuerst noch breit durch Revolutionsvertreter begrüsst wurde, hat nun selbst innerhalb des Chavismus zu Ablehnung geführt. In der Zwischenzeit rudert auch die AN in der Sache zurück und schliesst die Übernahme in einen formellen Entwurf seitens des Parlaments aus, einige fordern den Rücktritt der Bundesanwältin und machen die Dame somit zu dem Sündenbock eines fehlgeschlagenen, aber für die bolivarische Revolution notwendigen Projekts, nachdem die Entrüstung auch international zu hören war. Reporter ohne Grenzen verurteilt das Vorgehen der venezolanischen Führung, die International Association of Broadcasting (AIR/IAB) leht den Eingriff in die Meinungsfreiheit ab und verlangt die Durchsetzung der Interamerikanischen Demokratischen Charta (der OAS) auf.
Und während sich die Befremdung in der Person der Bundesanwätlin konzentriert, integriert die AN wesentliche Punkte aus dem verwerflichen Gesetzesvorschlag in einen anderen Text, das neue Bildungsgesetz, welches nun im Eilverfahren durchgewinkt wird. Darin werden nicht nur Straftatbestände für die (vermeintlich freie) Meinungsäusserung definiert, sondern dem Staat auch eine zentrale Planungsrolle für Ausbildung zugesprochen. Die freie Wahl des Studiums oder der Ausbildung könnte auch bald wegfallen. Vielleicht war der Auftritt von Frau Díaz vor dem Parlament ein Ablenkungsmanöver und Frau Díaz selbst möglicherweise bald ein notwendiges Bauernopfer.

Die beschriebenen Massnahmen deuten erneut an, wie die Intensität der Autokratisierung mit totalitärer Färbung durch das Regime Hugo Chávez seit Beginn des Jahres weiter zugenommen hat. Die Wahlerfolge der revolución werden immer knapper, sie verlor bereits im letzten Herbst einige Bundesstaaten und Gemeinden. Das durch die spärlicher fliessenden Öleinnahmen auseinanderfallende politische Projekt, das nie auch nur einen Funken Nachhaltigkeit entwickelt hat, macht auch langjährige Anhänger zunehmend skeptisch. Natürlich ist es da ein strategisch logischer, wenn auch undemokratischer Schritt, die durch freie Medien stattfindende Kritik an den Zuständen durch die Schliessung von Sendern zu begegnen und durch dubiose Initiativen die Meinungshegemonie der Regierungspartei zu sichern.


Good night, and good luck
(E. Murrow).