Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Donnerstag, 7. Mai 2009

¿Dólares? No hay...

Der Wechselkurs des venezolanischen Bolívar zum US-Dollar beträgt derzeit offiziell 2,15 Bs.F pro US$. Die Regierung hat den Wechselkurs schon in 2003 festgelegt, seither nur vorsichtig nach oben angepasst und hoffte wohl, so der Entwertung des Bolívar Herr zu werden (siehe Abbildung). Seit vier Jahren wurde der offizielle Wechselkurs nicht angetastet und wenn man den Statements des Comandante glauben schenken kann, dann wird er ihn auch in absehbarer Zeit nicht anpassen lassen. Der Inflation seit 2005 betrug 80%.


(Quelle: www.latin-focus.com)

Gleichzeitig herrscht strenge Rationierung der Devisen für Einzelpersonen und Unternehmen. Die Comisión para la Administración de Divisas (CADIVI) verwaltet die Zuteilung von Dollar, erfüllt dabei kaum die Nachfrage und transferiert nur sehr zögerlich bewilligte Beträge. Diese unzulängliche Prozedur scheint politisch durchaus gewollt zu sein. Wer Dollar braucht und nicht erhält, wendet sich gezwungenermaßen dem illegalen, schwarzen Markt zu. Devisengeschäfte auf diesem inoffiziellen Markt werden streng verfolgt und geahndet. Das wichtigste Staatsunternehmen, Petróleos de Venezuela S. A. (PDVSA), das venezolanisches Erdöl gegen US$ auf dem Weltmarkt verkauft, steht pikanterweise im Verdacht auch der größte Anbieter illegaler Dollar auf dem Schwarzmarkt zu sein.

Der große Unterschied zwischen dem offiziellen Wechselkurs von 2,15 Bs.F pro US$ und dem inoffziellen, tatsächlichen Kurs von über mittlerweile 6,50 Bs.F. pro US$ zeigt, wie stark die einheimische Währung seit Festlegung des Tauschverhältnisses an Wert verloren hat. Dies ist Anbetracht des rasanten Kaufkraftverlustes der Bolívar nicht verwunderlich. Übrigens: Nach venezolanischem Recht ist die Angabe von Schwarmaktkursen strafbar.
Einigen Marktteilnehmern eröffnet sich eine potentiell risikolose Gewinnchance: Man kann für seine Bolívares garantierte 2,15 Bs.F/US$ Dollar vom Staat erwerben und diese umgehend auf dem inoffiziellen Markt für 6,50 Bs.F/US$ wieder zurück in Bolívar tauschen. 4,35 Bs.F/US$ geschenkt, gutes Geschäft. Gibt es so etwas noch woanders auf der Welt? Mehr zu den Spekulationsgewinnen durch diesen Mechanismus an anderer Stelle.

Die restriktive Devisenzuteilung begrenzt natürlich diese verlockende Möglichkeit für den durchschnittlichen Bürger. Wer das Glück hat, rechtzeitig zum Zeitpunkt seines Auslandsaufenthaltes die bis zu 2500 Dollar bewilligt zu bekommen (bis Dezember waren es noch 5000), kann sich in letzter Zeit auch nicht darauf verlassen, dass er im Ausland diesen Betrag auch wirklich zur Verfügung hat.
Der momentane Devisenzuteilungsmechanismus für Reisen ins Ausland sieht folgendermaßen aus:
Reisende können im Ausland ihre Kreditkarten mit dem genehmigten Maximalbetrag von bis zu 2500 US$ belasten. Die Kreditkartenunternehmen buchen die Belastungen innerhalb eines Tages bei den jeweiligen venezolanischen Banken ab. Die Banken übermitteln CADIVI die Zusammenfassung der erfolgten Belastungen und erhalten in der Regel innerhalb von fünf Tagen die Genehmigung, bei der Zentralbank Dollar zum Ausgleich anzufordern.
Die ersten Banken verweigern mittlweile Kreditkartenbelastungen venezolanischer Reisender, da CADIVI mit der Genehmigung der Devisen zum Ausgleich der Auslandsbelastungen in Rückstand geraten ist. Die bei den Geschäftsbanken vorhandenen operativen Dollarreserven sind aufgrunddessen in kürzester Zeit zusammengeschmolzen und erlauben somit bis auf weiteres nicht, die Forderungen der Kreditkartenunternehmen zu begleichen. Banken bedienen sich auch nicht des Schwarzmarktes. Nicht nur, weil es ungesetzlich ist, sondern v. a., weil der Erwerb der teuren Schattendollar ein schlechtes Geschäft wäre.
Reisende sitzen nun im schlimmsten Fall im Ausland finanziell auf dem Trockenen.
CADIVIs Rückstand beim Ausgleich der ausstehenden Beträge beläuft sich auf über 300 Mio. US$.

Leider wirken sich die strenge Zuteilung und der Rückstand bei Ausgleich der Zahlungen nicht nur auf Reisende aus, sondern auf die gesamte Wirtschaft.
Viele Unternehmen sind auch auf die Zuteilung von Dollar angewiesen. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres ist das gesamte bewilligte Devisenvolumen um 32% geringer als im selben Zeitraum des Vorjahres. Die tatsächliche Vergabe bewilligter Devisen für den Industriesektor liegt laut Venezuelas Industrieverband Conindustria gerade einmal zwischen 30 und 40%. Schon im September 2008 genehmigte Devisen sind heute immer noch nicht zugewiesen. Der Verband schätzt diese Summe auf über 15 Mrd. US$. Unternehmen, die zur Aufrechterhaltung ihrer Tätigkeit auf US$ angewiesen sind geraten in Schwierigkeiten. Die Einfuhr von notwendigen Handelsgütern, aber auch die von Ersatzteilen, Vorprodukten usw. ist gefährdet.
Der Verband der Autoindustrie, Cámara Automotriz de Venezuela (CAVENEZ), meldet für die ersten vier Monate von 2009 einen Rückgang der Autoverkäufe um 61,5% im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Hier wirkt sich neben der staatlich begrenzten Einfuhrmöglichkeiten für Automobile auch der nachlassende Strom bewillgter Devisen für inländische Produzenten aus, die sich für die Herstellung von Wagen des internationalen Marktes bedienen müssen. Trotz des weltweit billigsten Benzins (4 Cent pro Liter) müssen Venezolaner heutzutage durchaus mehrere Monate auf die Auslieferung ihres Autos warten.
Jene, die mangels offzieller Devisen die teuren Schwarmarktdollar kaufen, um Einfuhren zu bezahlen, importieren durch den höheren zugrundleigenden Wechselkurs auch Inflation. Importe auf dieser Basis feuern den ohnehin schon rasanten Preisniveauanstieg weiter an.

Seit dem schnellen Verfall des Ölpreises verringert sich der Zufluss an US$ im selben Maße. Die teils offiziell verlautbarte Einschränkung der Devisenzuteilung zusammen mit den inoffiziell gewollten Verzögerungen sind ein klares Anzeichen dafür, dass die Regierung nun auch die Dollarzuteilung an natürliche und juristische Personen auf dem Niveau der Vergangenheit nicht aufrechterhalten kann. Die benötigte Menge Dollar ist einfach nicht vorhanden. Aber genau diese Situation hat sie selbst herbeigeführt. Sie hat mit dem Beharren auf den fixen Wechselkurs von 2,15 Bs.F/US$ den Bolívar künstlich überbewertet. Eine Überbewertung stimuliert Importe. Der feste Wechselkurs machte ausländische Güter und Dienstleistungen billiger als sie zum "echten" Kurs waren. Das Importvolumen hat dank dieser "Wechselkurssubvention" noch bis ins Jahr 2008 hinein stark zugenommen. Die Einfuhr von relativ billigeren Produkten hat sich negativ auf die einheimische Wirtschaft, v. a. die Landwirtschaft und die nicht erdölbezogene Industrie, ausgewirkt. Oftmals ist die inländische Produktion im Vergleich zum Import nicht konkurrenzfähig und verschwindet vom Markt (mehr zur Schrumpfung des nicht erdölbezogenen Sektors in einem späteren Beitrag).
Da nun der offizielle Dollarhahn zugedreht wird, müssen sich die Wirtschaftssubjekte immer häufiger auf dem parallelen Markt eindecken. Während in 2008 noch ca. 5% des Dollarbedarfs auf diesem befriedigt wurden, werden es laut Schätzungen dieses Jahr insgesamt ca. 32% sein. Viele Sektoren werden wegen der strengen Vergabe fast völlig auf den illeglen Markt angewiesen sein, darunter z. B. Elektronik (93% des US$-Bedarfs am Parallelmarkt zu decken), Textilien (90%), Haushaltsgeräte (86%), Komunikation (81%), Automobile (61%).

PDVSA als wichtigste Dollarquelle der Nation scheint größere Mengen der US-amerikanischen Währung auf dem Parallelmarkt anzubieten, um den Absturz des Bolívar abzubremsen. Aus mehreren Gründen ist einem solchen Vorgehen mit größter Skepsis zu begegnen (u. a.):
1. PDVSA als Staatsunternehmen agiert als größter Anbieter auf dem Schwarzmarkt und verstößt damit nicht nur gegen das Gesetz, sondern ist auch die Hauptstütze und Motor des Schattensystems.
2. Die in US$ geführten Erdöleinnahmen, die PDVSA nach ihrem Zufluss bei der Zentralbank in Bolívares zu wechseln und dem Staat zu überweisen hat, sind schon auf einem bedrohlich tiefen Stand. Wenn das Staatsunternehmen große Mengen von diesen US$ dazu nutzt, um sie dem Parallelmarkt zuzuführen, so fließen diese Dollar nicht der Zentralbank zu und mehren dort nicht die Devisenreserven. Die Reduktion des Reservenzuwachses wiederum könnte die Wechselkursstabilität im Sinne einer steigenden Abwertungserwartung beeinträchtigen. Somit wirkte das System genau gegensätzlich zu der offenbar dadurch beabsichtigten Stabilisierung des Devisenmarktes.

Sämtliche staatliche Maßnahmen konzentrieren sich auf die Behandlung der Symtpome des erkrankten Systems, ignorieren dabei wichtige Ursachen. Anstatt sich beispielsweise der Inflationsbekämpfung zu verschreiben oder den Wechselkurs auf ein vernünftiges Niveau zu korrigieren, setzt das Regime alles auf eine Karte: Die immer verzweifeltere Hoffnung auf einen deutlichen Anstieg des Ölpreisen und somt der Öleinnahmen. Wenn aber der Erdölpreis nicht bald deutlich steigt, nähert sich Venezuela möglicherweise einer prekären Zahlungsbilanzsituation.

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