Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Dienstag, 19. Mai 2009

Zu viel Meinungsfreiheit?

Für Clodosvaldo Russián, Contralor General de la República, existiert in Venezuela derzeit für nicht staatliche Medien ein Übermaß an Meinungsfreiheit.
Die Contraloría General de la República stellt ein vermeintlich autonomes, in der Verfassung vorgesehenes Organ zur Kontrolle der staatlichen Verwaltung dar. Herr Russián wirft den privaten Medien vor, voll politischer Streitbarkeit zu sein und sich wie Parteien zu verhalten ohne dafür sanktioniert zu werden. Dabei verweist er darauf, dass in der Zeit vor Chávez die Medien noch stärkeren Einschränkungen unterlagen als nach Beginn der Revolución Bolivariana.

Dieser Vorwurf erscheint insbesondere deswegen sehr unpassend, da er völlig außer Acht lässt, dass die direkt von der Regierung kontrollierten Staatssender wie Venezolana de Televisión (VTV) die mediale Plattform (des regierenden) parteipolitischen Denkens sind.
Unschwer erkennt auch der erstmalige Besucher der VTV-Website die eindeutige politische Ausrichtung. Zuschauern wird eine mit chavistischer Ideologie überfrachtetes Programm geboten. Wichtige Statements machen Regierungsvertreter oder Mitglieder anderer staatlicher Organe fast ausschließlich nur noch vor diesen Kameras und Mikrophonen.

Wer Kindheit und Jugend in "vor-revolutionärer Zeit" in Venezuela verbracht hat, kannte VTV als einen völlig anderen Sender. Da er staatlich kontrolliert und der politischen Neutralität verpflichtet war, mied das Programm jeglichen politischen oder sonstwie kontroversen Inhalt. Was ihn für den Verfasser so interessant machte, war das Fehlen von ständigen Werbeunterbrechungen und das Programm: Dokumentationen, Tierfilme, Wissenssendungen und morgens, mittags, abends die Nationalhymne. Sehr viel mehr gab es nicht.
Im Gegensatz dazu ist das heutige VTV wahrlich das Sprachrohr der Regierung(spartei). Es reicht, sich einen beliebigen Artikel oder Sendebeitrag herauszupicken, um die einseitige, die Errungenschaften der Revolution verherrlichende und die grundsätzliche Schlechtigkeit ihrer Gegner unterstellende Berichterstattung zu belegen. Über VTV verbreitet Hugo Chávez in der sonntäglichen Sendung "Aló Presidente" mitunter mehrere Stunden lang seine wichtigen und unwichtigen Ansichten, Meinungen, Entscheidungen und Ankündigungen.

Wie kann der Contralor General nun nur so einseitig den angeblichen Missbrauch der Sendekonzessionen privater Sender für politische Zwecke verurteilen und gleichzeitig die politische Gleichschaltung des staatlichen Mediensektors unterschlagen? Möglicherweise, weil er selbst sich als Sympathisant des Präsidenten bezeichnet und die chavistische Bewegung das Konzept der Meinungsfreiheit grundsätzlich fehlinterpretiert. Kritische Berichterstattung ja, aber nicht wenn sie die Revolution (berechtigt oder nicht) kritisiert. Für sie ist Meinungspluralismus das, was auf VTV stattfindet...
Aus diesem Grund wurde Venezuelas größter und ältester Fernsehsender RCTV 2007 zum Schweigen gebracht. Da er besonders kritisch gegenüber dem Regime war, wurde die Sendekonzession nach Ablauf eingezogen (Kabelempfang besteht weiterhin) und einem weiteren regierungskontrollierten Sender (TVes) übertragen. Andere Privatsender haben seither eine vorsichtigere Berichterstattung eingeführt und in ihrer Kritik deutlich nachgelassen, um nicht auch ausgeschaltet zu werden.
Nicht so Globovisión, eine Art "venezolanisches CNN" mit überwiegend nachrichtenorientiertem Programm. Dieser Sender war und ist immer dann zur Stelle, wo o etwas los ist und hat meist als erster und oft einziger Privater (vor und neben den Staatlichen) berichtet. Schon lange ist der Sender ein politisches Thema. Chávez und Getreue werfen ihm - milde ausgedrückt - falsche, irreführende Berichterstattung vor, während die andere Seite ihn als letzte Bastion eines nicht dem Comandante ergebenen Mediums sieht. In den letzten Tagen äußerte sich der Chavismo deutlich: Es wird angestrebt, den Sender zu schließen.
Anlass war die Berichterstattung über das Erdbeben in der Hauptstadtregion vor einigen Tagen. Während staatliche Stellen über Stunden nicht in der Lage waren, ein Statement zu Lage abzugeben und auf VTV die stundenlange Wiederholung der letzten präsidialen TV-Show lief, war Globovisión der einzige Sender, der sich um eine Aufklärung bemühte. Dass die staatlichen Stellen dabei nicht gut wegkommen, stellt eine unverzeihliche Schmach dar. Der Hergang ist hier gut zusammengefasst.

Natürlich ist Globovisión als oppositionell zum Regime zu bezeichnen. Dazu reicht es, sich eine der Berichte oder poltischen Talkshows anzusehen. Mit seiner Kritik an Regierung und anderen Mißständen ist im Gegensatz zu den Staatlichen aber keine parteibezogenene Propaganda verbunden. Die fast alleinige Besetzung des unbedingten oppositionellen Segments in den Medien hat auch dazu geführt, dass dieser Sender mit Schnelligkeit, Bissigkeit und Grundsätzlichkeit dabei ist, dem Regime empfindliche Stiche zu versetzen. Leider ist dies vielleicht auch sein größter Makel. Zwar ist es journalistisch dem staatlichen Fernsehen weit überlegen, doch leidet die Ausgewogenheit der Berichterstattung stark. Es ginge zu weit, es als "oppositionelles VTV" zu bezeichnen, aber es geht in die Richtung.

Aber hier geht es um etwas anderes: Die Berichte von Globovisión behandeln Themen, die in der Tat zur Kritik am Regime berechtigen. Da der Präsident immer stärker an verfassungsmäßigen und gesetzlichen Schranken vorbei die Durchsetzung seiner politischen Agenda betreibt, ist es ein Leichtes, haufenweise kritische Berichte hierzu zusammenzutragen. Und genau das soll jetzt beendet werden..
Es geht nicht darum, ob die Berichte der oppositionellen Medien unrichtig oder übertrieben sein mögen, sondern darum, dass überhaupt oppositionell berichtet wird.

Sollte Globovisión off air gehen, verlöre das Land den letzten freien und unangepassten oppositionellen Sender. Die mediale Hegemonie der "Revolution" wäre gesichert. Dies ist nicht nur für durchschnittliche Demokraten eine beklemmende Vorstellung. Auch bekennende chavistas sind gegen die Abschaltung des Senders. Kein Wunder: ohne die Informationen der Gegenseite, völlig auf die Propaganda-Organe der Regierung angewiesen, befürchten auch sie, nicht mehr wissen zu können, "was wirklich im Land passiert". Noch kann man sich beide Seiten einer Nachricht ansehen.

Wenn die Nachrichten oppositioneller Medien wirklich so unwahr sind, dann dürfte es ja keine Mühe machen, sie zu widerlegen. Und Sender und Zeitungen, die ihren Lesern längere Zeit unbrauchbare (weil unrichtige) Informationen anbieten, dürften sich nicht halten, enttäuschte Zuseher/Leser sich Besseren zuwenden. Der Wahrheitsgehalt der in nicht regierungstreuen Medien verbreiteten Informationen ist aber im Gegenteil hoch und weniger zweifelhaft als der roter Medien.

(Dieser Beitrag befindet sich noch in Bearbeitung)

Donnerstag, 7. Mai 2009

¿Dólares? No hay...

Der Wechselkurs des venezolanischen Bolívar zum US-Dollar beträgt derzeit offiziell 2,15 Bs.F pro US$. Die Regierung hat den Wechselkurs schon in 2003 festgelegt, seither nur vorsichtig nach oben angepasst und hoffte wohl, so der Entwertung des Bolívar Herr zu werden (siehe Abbildung). Seit vier Jahren wurde der offizielle Wechselkurs nicht angetastet und wenn man den Statements des Comandante glauben schenken kann, dann wird er ihn auch in absehbarer Zeit nicht anpassen lassen. Der Inflation seit 2005 betrug 80%.


(Quelle: www.latin-focus.com)

Gleichzeitig herrscht strenge Rationierung der Devisen für Einzelpersonen und Unternehmen. Die Comisión para la Administración de Divisas (CADIVI) verwaltet die Zuteilung von Dollar, erfüllt dabei kaum die Nachfrage und transferiert nur sehr zögerlich bewilligte Beträge. Diese unzulängliche Prozedur scheint politisch durchaus gewollt zu sein. Wer Dollar braucht und nicht erhält, wendet sich gezwungenermaßen dem illegalen, schwarzen Markt zu. Devisengeschäfte auf diesem inoffiziellen Markt werden streng verfolgt und geahndet. Das wichtigste Staatsunternehmen, Petróleos de Venezuela S. A. (PDVSA), das venezolanisches Erdöl gegen US$ auf dem Weltmarkt verkauft, steht pikanterweise im Verdacht auch der größte Anbieter illegaler Dollar auf dem Schwarzmarkt zu sein.

Der große Unterschied zwischen dem offiziellen Wechselkurs von 2,15 Bs.F pro US$ und dem inoffziellen, tatsächlichen Kurs von über mittlerweile 6,50 Bs.F. pro US$ zeigt, wie stark die einheimische Währung seit Festlegung des Tauschverhältnisses an Wert verloren hat. Dies ist Anbetracht des rasanten Kaufkraftverlustes der Bolívar nicht verwunderlich. Übrigens: Nach venezolanischem Recht ist die Angabe von Schwarmaktkursen strafbar.
Einigen Marktteilnehmern eröffnet sich eine potentiell risikolose Gewinnchance: Man kann für seine Bolívares garantierte 2,15 Bs.F/US$ Dollar vom Staat erwerben und diese umgehend auf dem inoffiziellen Markt für 6,50 Bs.F/US$ wieder zurück in Bolívar tauschen. 4,35 Bs.F/US$ geschenkt, gutes Geschäft. Gibt es so etwas noch woanders auf der Welt? Mehr zu den Spekulationsgewinnen durch diesen Mechanismus an anderer Stelle.

Die restriktive Devisenzuteilung begrenzt natürlich diese verlockende Möglichkeit für den durchschnittlichen Bürger. Wer das Glück hat, rechtzeitig zum Zeitpunkt seines Auslandsaufenthaltes die bis zu 2500 Dollar bewilligt zu bekommen (bis Dezember waren es noch 5000), kann sich in letzter Zeit auch nicht darauf verlassen, dass er im Ausland diesen Betrag auch wirklich zur Verfügung hat.
Der momentane Devisenzuteilungsmechanismus für Reisen ins Ausland sieht folgendermaßen aus:
Reisende können im Ausland ihre Kreditkarten mit dem genehmigten Maximalbetrag von bis zu 2500 US$ belasten. Die Kreditkartenunternehmen buchen die Belastungen innerhalb eines Tages bei den jeweiligen venezolanischen Banken ab. Die Banken übermitteln CADIVI die Zusammenfassung der erfolgten Belastungen und erhalten in der Regel innerhalb von fünf Tagen die Genehmigung, bei der Zentralbank Dollar zum Ausgleich anzufordern.
Die ersten Banken verweigern mittlweile Kreditkartenbelastungen venezolanischer Reisender, da CADIVI mit der Genehmigung der Devisen zum Ausgleich der Auslandsbelastungen in Rückstand geraten ist. Die bei den Geschäftsbanken vorhandenen operativen Dollarreserven sind aufgrunddessen in kürzester Zeit zusammengeschmolzen und erlauben somit bis auf weiteres nicht, die Forderungen der Kreditkartenunternehmen zu begleichen. Banken bedienen sich auch nicht des Schwarzmarktes. Nicht nur, weil es ungesetzlich ist, sondern v. a., weil der Erwerb der teuren Schattendollar ein schlechtes Geschäft wäre.
Reisende sitzen nun im schlimmsten Fall im Ausland finanziell auf dem Trockenen.
CADIVIs Rückstand beim Ausgleich der ausstehenden Beträge beläuft sich auf über 300 Mio. US$.

Leider wirken sich die strenge Zuteilung und der Rückstand bei Ausgleich der Zahlungen nicht nur auf Reisende aus, sondern auf die gesamte Wirtschaft.
Viele Unternehmen sind auch auf die Zuteilung von Dollar angewiesen. In den ersten zwei Monaten dieses Jahres ist das gesamte bewilligte Devisenvolumen um 32% geringer als im selben Zeitraum des Vorjahres. Die tatsächliche Vergabe bewilligter Devisen für den Industriesektor liegt laut Venezuelas Industrieverband Conindustria gerade einmal zwischen 30 und 40%. Schon im September 2008 genehmigte Devisen sind heute immer noch nicht zugewiesen. Der Verband schätzt diese Summe auf über 15 Mrd. US$. Unternehmen, die zur Aufrechterhaltung ihrer Tätigkeit auf US$ angewiesen sind geraten in Schwierigkeiten. Die Einfuhr von notwendigen Handelsgütern, aber auch die von Ersatzteilen, Vorprodukten usw. ist gefährdet.
Der Verband der Autoindustrie, Cámara Automotriz de Venezuela (CAVENEZ), meldet für die ersten vier Monate von 2009 einen Rückgang der Autoverkäufe um 61,5% im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum. Hier wirkt sich neben der staatlich begrenzten Einfuhrmöglichkeiten für Automobile auch der nachlassende Strom bewillgter Devisen für inländische Produzenten aus, die sich für die Herstellung von Wagen des internationalen Marktes bedienen müssen. Trotz des weltweit billigsten Benzins (4 Cent pro Liter) müssen Venezolaner heutzutage durchaus mehrere Monate auf die Auslieferung ihres Autos warten.
Jene, die mangels offzieller Devisen die teuren Schwarmarktdollar kaufen, um Einfuhren zu bezahlen, importieren durch den höheren zugrundleigenden Wechselkurs auch Inflation. Importe auf dieser Basis feuern den ohnehin schon rasanten Preisniveauanstieg weiter an.

Seit dem schnellen Verfall des Ölpreises verringert sich der Zufluss an US$ im selben Maße. Die teils offiziell verlautbarte Einschränkung der Devisenzuteilung zusammen mit den inoffiziell gewollten Verzögerungen sind ein klares Anzeichen dafür, dass die Regierung nun auch die Dollarzuteilung an natürliche und juristische Personen auf dem Niveau der Vergangenheit nicht aufrechterhalten kann. Die benötigte Menge Dollar ist einfach nicht vorhanden. Aber genau diese Situation hat sie selbst herbeigeführt. Sie hat mit dem Beharren auf den fixen Wechselkurs von 2,15 Bs.F/US$ den Bolívar künstlich überbewertet. Eine Überbewertung stimuliert Importe. Der feste Wechselkurs machte ausländische Güter und Dienstleistungen billiger als sie zum "echten" Kurs waren. Das Importvolumen hat dank dieser "Wechselkurssubvention" noch bis ins Jahr 2008 hinein stark zugenommen. Die Einfuhr von relativ billigeren Produkten hat sich negativ auf die einheimische Wirtschaft, v. a. die Landwirtschaft und die nicht erdölbezogene Industrie, ausgewirkt. Oftmals ist die inländische Produktion im Vergleich zum Import nicht konkurrenzfähig und verschwindet vom Markt (mehr zur Schrumpfung des nicht erdölbezogenen Sektors in einem späteren Beitrag).
Da nun der offizielle Dollarhahn zugedreht wird, müssen sich die Wirtschaftssubjekte immer häufiger auf dem parallelen Markt eindecken. Während in 2008 noch ca. 5% des Dollarbedarfs auf diesem befriedigt wurden, werden es laut Schätzungen dieses Jahr insgesamt ca. 32% sein. Viele Sektoren werden wegen der strengen Vergabe fast völlig auf den illeglen Markt angewiesen sein, darunter z. B. Elektronik (93% des US$-Bedarfs am Parallelmarkt zu decken), Textilien (90%), Haushaltsgeräte (86%), Komunikation (81%), Automobile (61%).

PDVSA als wichtigste Dollarquelle der Nation scheint größere Mengen der US-amerikanischen Währung auf dem Parallelmarkt anzubieten, um den Absturz des Bolívar abzubremsen. Aus mehreren Gründen ist einem solchen Vorgehen mit größter Skepsis zu begegnen (u. a.):
1. PDVSA als Staatsunternehmen agiert als größter Anbieter auf dem Schwarzmarkt und verstößt damit nicht nur gegen das Gesetz, sondern ist auch die Hauptstütze und Motor des Schattensystems.
2. Die in US$ geführten Erdöleinnahmen, die PDVSA nach ihrem Zufluss bei der Zentralbank in Bolívares zu wechseln und dem Staat zu überweisen hat, sind schon auf einem bedrohlich tiefen Stand. Wenn das Staatsunternehmen große Mengen von diesen US$ dazu nutzt, um sie dem Parallelmarkt zuzuführen, so fließen diese Dollar nicht der Zentralbank zu und mehren dort nicht die Devisenreserven. Die Reduktion des Reservenzuwachses wiederum könnte die Wechselkursstabilität im Sinne einer steigenden Abwertungserwartung beeinträchtigen. Somit wirkte das System genau gegensätzlich zu der offenbar dadurch beabsichtigten Stabilisierung des Devisenmarktes.

Sämtliche staatliche Maßnahmen konzentrieren sich auf die Behandlung der Symtpome des erkrankten Systems, ignorieren dabei wichtige Ursachen. Anstatt sich beispielsweise der Inflationsbekämpfung zu verschreiben oder den Wechselkurs auf ein vernünftiges Niveau zu korrigieren, setzt das Regime alles auf eine Karte: Die immer verzweifeltere Hoffnung auf einen deutlichen Anstieg des Ölpreisen und somt der Öleinnahmen. Wenn aber der Erdölpreis nicht bald deutlich steigt, nähert sich Venezuela möglicherweise einer prekären Zahlungsbilanzsituation.