Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Montag, 29. Juni 2009

Honduras - Populismus auf dem Rückzug?

Gestern wurde Honduras Präsident, Manuel Zelaya, durch das Militär festgenommen und nach Costa Rica überführt. Erste internationale Reaktionen sind einstimmige Verurteilung durch die Weltgemeinschaft und sehr aufgeregte, schrill protestierende Amtskollegen (Chávez, Correa, Ortega, Castro, Morales). Es ist der Höhepunkt einer sich schon seit einiger Zeit zuspitzenden Staatskrise. Präsident Zelaya, Großgrundbesitzer und Mitglied des Partido Liberal (PL) hatte gegen einstimmigen Widerspruch von Parlament, Oberstem Gerichtshof, Staatsanwaltschaft und Militärführung das Abhalten eines Referendums angestrengt, das die erneute Wiederwahl durch Verfassungsänderung ermöglichen sollte. Die Absetzung des Generalstaabschefs Gen. Vásquez Velásquez durch den Präsidenten der vergangenen Woche, weil sich erster geweigert hatte, die Streitkäfte zur Durchführung des Referendunms bereitzustellen, solange sich die übrigen demokratischen Institutionen dagegen aussprachen, führte zur Eskalation.

Inhalt, Geist und Durchführung des Referendums waren auf breite Ablehnung gestossen und wurden durch die übrigen Staatsgewalten und protestierende Bürger abgelehnt. Leitgedanke und Wortlaut der Verfassung schliesst ein solches Vorhaben aus. Der Oberste Gerichtshof stellte die Unrechtmässigkeit der Absetzung des Generalstabschefs fest und ordnete die Wiedereinsetzung ein, während sogar die eigene Partei des Präsidenten ihm die Unterstüzung in dieser Sache verweigerte.
Als Zelaya die für Sonntag angesetzte Durchführung des Referendums auf eigene Faust und somit bei Durchführung und Auswertung bar jeder nachvollziehbaren Objektivität und folglich wertlosen Ergebnissen durchzuführen gedachte, beauftragten die Obersten Richter das honduranische Militär mit der Entfernung Zelayas aus dem Amt.

Der Kongress bestätigte einstimmig die Absetzung Zelayas und übertrug - wie verfassungsgemäss vorgesehen - dem Parlamentspräsident die provisorische Regierungsgewalt bis zum turnusmäßigen Ende der Amtszeit des Präsidenten Anfang 2010 (Wahlen werden im November abgehalten). Anhänger Zelayas protestieren auf den Strassen, die Intensität und das Ausmaß der Proteste scheint nicht überwältigend zu sein und verläuft zum Zeitpunkt dieses Beitrages begrenzt und unblutig. Bemerkenswert ist an der ganzen Angelegenheit, dass sämtliche demokratischen Institutionen die Absetzung Zelayas unterstützen - etwas, das üblicherweise nicht mit dem Begriff "Putsch" in Verbindung gebracht wird. Während der Interimspräsident Roberto Micheletti eine nächtliche Ausgangssperre verhängte und die Bürger zur Ruhe aufrief, trafen sich die Regierungschefs und Gesandten des von Venezuela initiierten (und dominierten) ALBA in Nicaragua zur Krisensitzung. Zuvor hatte Hugo Chávez in deutlicher aber völlig unpassenden Art die Absetzung Zelayas verurteilt und mit militärischer Intervention gedroht, sollte sein Freund nicht umgehend wieder in sein Amt eingesetzt werden (Antwort der hond. Regierung). Vergessen wir nicht, dass Chávez stets allein schon ausländische Kritik an seiner eigenen Führung als Beleidigung der nationalen Souveränität und ingerencia (Einmischung) übelster imperialistischer Strömungen zu bezeichnen pflegt und 1992 selbst einen Putschversuch (!) anführte, um eine - zwar unbeliebte und überforderte - aber gewählte Regierung zu stürzen.
Auf der ALBA-Konferenz schlugen die jeweiligen Vertreter und auch Chávez etwas weniger martialische Töne an, drückten aber ihre Absicht aus, die Rebellion gegen die provisorische Regierung unterstützen zu wollen. Die honduranische Zeitung La Prensa berichtete heute über möglicherweise durch eingeflogene venezolanische Agitatoren angefachte Zusammenstöße und Gewaltakte. Mal abgesehen von der Unerhörtheit der Interventionsdrohung ist Venezuela militärisch nicht für die Invasion eines nicht unmittelbar angrenzenden Landes ausgestattet. Die reichlichen Waffenkäufe der letzten Jahre dienen vor allem dem Einsatz im Inland (qui bono?)...

Unabhängig davon, ob Zelayas Absetzung als Putsch oder verfassungskonforme Entfernung aus dem Amt verstanden wird (persönlich in honduranischer Politik nicht bewandert, aufgrund der letzten Umfrageergebnisse von lediglich 30% Unterstützung Zelayas, jedoch im Moment letzteres nicht ausschliessend), ist aus den Geschehenissen in Honduras und den gestrigen Wahlergebnissen der argentinischen Parlamentswahlen ein starker Rückschlag für populistische Regierungen zu erkennen. Manche beschreiben Zelayas politische Einkreisung derart, dass es keneswegs eines Putsches bedurft hätte, um die Verfassungsmässigkeit zu gewährleisten (z. B. Venezuelas einflussreicher Meinungsbildner Teodoro Petkoff in seiner Kolumne).
Zwar entstammt Zelaya eher nicht dem üblichen linkspopulistischen Bereich (sondern dem liberalen Sektor), hat aber immer stärker Züge und Gebahren seines offensichtlichen Vorbilds, des Anführers des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts", Hugo Chávez angenommen. Der Vorschlag zur Verfassungsänderung, um dem Präsidenten die wiederholte (respektive: unbegrenzte) Wiederwahl zu ermöglichen kennzeichnet auch ein wichtiges Element des venezolanischen Populismus. Grundsätzlich mag die unbegrenzte Wiederwahl in einer starken Demokratie durchaus denkbar und ohne institutionellen Schaden möglich sein, wegen der lateinamerikanische Tendenz zum caudillismo allerdings, haben nicht ohne Grund in vielen süd- und mittelamerikanischen Ländern die Autoren der Verfassungen diese Gefahr durch den Ausschluss einer unbegrenzten Wiederwahl einzudämmen versucht.

Und noch eine Hiobsbotschaft mag die Populisten des Kontinents beunruhigen:
Argentiniens Kirchners haben in den Parlamentswahlen eine herbe Niederlage erlitten. Die Mehrheit in beiden Parlamentskammern liegt nun in den Händen der politischen Gegner. Zuletzt hatte sich die politische Verbündete der venezolanischen Staatsführung, Cristina Fernández de Kirchner, im stark auf Landwirtschaftsexporte angewiesene und sehr unter der weltweiten Finanzkrise leidenden Land durch exporthemmenden Massnahmen unbeliebt gemacht.

Die auffällig starke und alarmierte Reaktion Hugo Chávez' auf die Vorgänge in Honduras unter dem Eindruck des Rückzugs des ähnlich populistischen Kircher-Peronismus' in Argentinien könnten in zweierlei Hinsicht den ruhigen Schlaf des comandante stören: Die betrachteten populistisch orientierten politischen Projekte sind aus dem inneren bedroht, wenn sie in der Wirtschaftskrise unzulänlgich sind (Argentinien) oder wenn eine breite institutionelle Ablehnung autokratischer Tendenzen die Ablösung fordert (Honduras).
Freilich war Chávez in dieser Hinsicht während der letzten Jahre nicht untätig. Er hat nach dem Beinahe-Ende seiner Regierung durch den Staatsstreich 2002 und den landesweiten Generalstreiks 2002/03 systematisch die jeweiligen Insititutionen zugunsten seines Machterhalts umgeformt. Die politische Säuberung der Führung PDVSAs, des grössten Geldbringers der Staates und die umfassende personelle (eher auf Loyalität als auf Qualifizierung basierte) Neubesetzung vieler Schlüsselposten in allen Bereichen, allen voran: dem militärischen Oberkommando (welches durch stark fragmentierte Kompetenzverteilung heutzutage verstümmelt ist) sollen umstürzlerische Gefahren aus diesen Institutionen verhindern. Dass ein überwiegend chavistisches Durchwinkparlament wegen des Wahlboykotts der Opposition seit 2006 ihm dabei sehr gelegen kam (daraufhin "Loyalisierung" der Judikative), muss nicht weiter erläutert werden und mag darauf hindeuten, dass der institutionell-formale Machtwechsel à la Honduras für Venezuela weniger wahrscheinlich sein könnte als ein durch die sich schnell verschlechternden wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen angetriebener.

Im Zusammenhang mit der Degeneration der demokratischen Institutionen durch die sog. Revolution, die ich in diesem Beitrag andeutete, gestatte ich mir, auf die heutige Aufforderung venezoanischer Rechts- und Politikgelehrter zur "reconstitucionalización" der staatlichen Institutionen hinzuweisen.

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