Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Mittwoch, 24. Juni 2009

Revolución, Globovision und kaputte Institutionen

In den letzten Tagen leidet Venezuelas letzter freier und offen oppositioneller Sender, Globovision, unter dem wachsenden Druck der durch Hugo Chávez in Bewegung gesetzten staatlichen Stellen. So laufen mittlerweile Untersuchungen in verschiedenen Fällen von "Unregelmässigkeiten". Auf diese werde ich an dieser Stelle nicht näher eingehen, da sie für den Inhalt dieses Beitrags nebensächlich sind. Ausserdem wurde im Juni 2009 ein Steuernachzahlungsebscheid erlassen für angeblich nicht angegebene und versteuerte Überlassung von Sendezeit an oppositionelle politische und andere Organisationen im Rahmen der dreitägigen Absetzung des Präsidenten in 2002 und dem landesweiten Generalstreik 2002/03, zzgl. Ordnungsgeld und Zinsen (insgesamt ca. US$ 4 Mio.). Verschiedene Regierungsvertreter und Parteigänger des Regimes rufen immer lauter nach einer Schließung der Sendeanstalt (mehr zur offiziellen Sicht auf die Meinungsfreiheit in diesem Artikel).
Unabhängig davon, ob dieses Vorgehen gegen Globovision begründet und zulässig ist, offenbart sich hier stellvertretend der weitere Zerfall der Institutionen Venezuelas.

Vielleicht sollte die Perspektive etwas erweitert werden. Die Grundlagen der politischen und gesellschaftlichen Ordnung insgesamt und die unter "Institutionen" zusammengefassten expliziten und impliziten Normen der sozialen Wirklichkeit eines vermeintlich demokratischen Systems erfahren eine ungünstige Beeinträchtigung. Unter dem in der Verfassung u. a. in Artikel 2 definierten demokratischen Charakter der Republik und dem wiederholten Anspruch des Regimes, "die demokratischste Nation des Kontinents" zu sein (poder popular, soberanía und participación sind nur einige der ständig bemühten Schlagworte), ist der Zweck staatlichen Handelns zum Wohle und im Interesse seiner Bürger anzunehmen.
"Venezuela constitutes itself as a Democratic and Social State of Law and Justice, which holds as superior values of its legal order and actions those of life, liberty, justice, equality, solidarity, democracy, social responsibility and, in general, the preeminence of human rights, ethics and political pluralism." (Artikel 2).
Die Antwort auf die Frage nach dem qui bono? und der Motivation des jeweiligen staatlichen Handelns wirft jedoch kein gutes Licht auf die Funktionsfähigkeit der Institutionen bei der Verfolgung ihres demokratischen Auftrages (durch das fehlende Bestreben, diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten). Institutionen, die Ausdruck der Verfassung sind oder mit ihr konform sind, erfahren eine neue Ausrichtung an einer politischen Agenda, die sich bestenfalls, aus dem Programm der herrschenden Partei oder ihres Führers, Hugo Chávez, nährt und schlimmstenfalls aus dem immer stärker wahrzunehmenden und immer weniger eingedämmten Bestreben, eine Art neopatrimonialen Klientelismus auszuweiten.

Institutionen, die dieser Gleichschaltung entgegenstehen werden mit der vollen Wucht des Apparates bedrückt (z. B. Globovision, La Verdad, Universitäten, oppositionelle Länderregierungen) oder durch umfassende personelle Neubesetzungen (PDVSA ab 2003, "autonome" Institute des Staates) auf den ideologischen Kurs gebracht. Die Günstlinge hingegen sind dem Revolutionsführer (Parallele zum Iran beabsichtigt) treu ergeben, nicht unbedingt, weil sie das obskure politische Konzept teilen, sondern weil es in erster Linie Geld, Macht, Verwirklichung, einen Teil am Kuchen für sich selbst und die seinen bedeutet. Dies war tendenziell schon immer so in Venezuela, ist aber in den letzten zehn Jahren nicht besser geworden. Nicht umsonst ist aus der revolución bolivariana des geflügelte Wort der robolución bolivariana geworden (von robar: stehlen, klauen, rauben). Die vorangegangene paktierte Demokratie hat wenigstens eine gewisse Rotation und gegenseitige Kontrolle bedeutet, die zwar eine "Schattenrendite" abwerfen musste, extremste Missbräuche aber durch den gegenseitigen Neid begrenzen konnte. Neu ist die unerbittliche Verfolgung von Günstlingen oder Verbündeten, die der Revolution den Rücken kehren (z. B. General Baduel, Ismael García) oder sich nicht stromlinienförmig genug verhalten. Wie wenig ist der Revolution die Integrität selbst der grundlegendsten Institutionen wert, wenn eine Regierung ständig im Staatsfernsehen Mitglieder des gegnerischen polischen Lagers, darunter demokratisch gewählte Gouverneure und Bürgermeister, als Schuft, Mafioso, Verrückter, Bandit, Terrorist bezeichnet? Wer von einer jeweiligen Mehrheit ins Amt gewählte Gouverneure als Faschisten und Putschisten bezeichnet, beleidigt gleichzeitig jeden einzelnen seiner Wähler und aberkennt die Unantastbarkeit und höchste Autorität des in der Wahl ausgedrückten Volkswillens. Die völlig unangebrachten Attacken ad hominem belegen die mangelnde Fähigkeit (mindestens den mangelnden Willen) zur sachlichen Auseinandersetzung. Wie lästig erscheint der Revolution also der Mechanismus der demokratischen Legitimation jeglicher Regierungsgewalt, wenn sie nicht einen Kandidaten der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas zum Amt verhilft (siehe Gauleiter von Caracas)? Wie viel versteht Chávez von der Rolle freier Medien, wenn er Sendern mit Schließung droht, sofern sie ihr redaktionelles Konzept nicht ändern? Wie unabhängig der res publica verschrieben sind Organe, die auf präsidialen Zuruf (ohne verfassungsmässige Weisungsbindung) in Aktion treten?

Nachdem dem größten und ältesten privat geführten Sender, RCTV, 2007 die Rundfunksendekonzession nicht verlängert wurde (über Kabel noch verfügbar) und die anderen Privatsender sich mehr auf ihr Unterhaltungsprogramm statt auf kritische Berichterstattung konzentrieren, nur um ähnlichen Repressalien zu entgehen und nicht etwa, weil es nichts zu kritisieren gäbe, bleibt Globovision der einzige noch freie Privatsender (Die Frequenz von RCTV wurde einem weiteren landesweiten Staatssender übertragen, TVes). Wenn freie Medien, selbst wenn sie einseitig und grundsätzlich regimefeindlich und oppositonsfreundlich berichten, ein für eine offene Demokratie notwendiges Element sind, dann ist Globovision sein letzte Vertreter im TV mit erstaunlich beschränkter Rundfunksendereichweite. Welche Plattform könnte die nicht-chavistische politische Landschaft also sonst noch darstellen, wenn die von der Regierung kontrollierten Staatssender ausschliesslich chavistische Hardline-Propaganda verbreiten? Wieso verfolgen chavistas einfersüchtig mögliche Verletzungen der Ley de Responsabilidad Social en Radio y Televisión (Ley Resorte) bei Globovision und RCTV, während angezeigte Übertretungen durch das "Enthüllungsmagazin" La Hojilla im Staatssender VTV (z. B.) nicht verfolgt werden, wenn nicht, weil zuständige Institutionen dysfunktional sind?

Globovisions Senderreichweite auf der öffentlichen Frequenz von Kanal 33 ist lediglich auf den Großraum Caracas und wesentliche Teile des Bundesstaates Carabobo beschränkt. Globovision ist also ein Reginalsender. Im restlichen Teil des Landes ist es nur durch Kabel-Abonnement zu empfangen. Es ist auf den ersten Blick verwunderlich, dass ein solch beschränkter Sender alltägliches politisches Thema bleibt und viel revolutionären Atem und politische Ressourcen beansprucht. Leider liegen keine verlässlichen Daten vor, aber im Gegensatz zu den landesweit auf den öffentlichen Frequenzen empfangbaren Staatssendern scheint sich Globovision selbst unter bekennenden chavistas großer Beliebtheit (Notwendigkeit?) zu erfreuen. Dass gerade in den Sendebereichen Globovisions, Caracas und Carabobo, bei den letzten Regionalwahlen die Opposition gewann, ist sicherlich kein Zufall. Hiermit beantwortet sich möglicherweise auch die Frage nach dem qui bono? einer Schließung des Senders (noch vor den Parlamentswahlen)...
Die Bevölkerung in den weniger urbanen Teilen des Landes, besonders die Ärmsten, haben also keinen wirklichen Zugang zu Globovision und erhalten Informationen über die landesweit sendenden und dem revolutionären Dogma verpflichteten Staatssendern oder von der Regierung abhängigen Regionalsendern.

Gleichzeitig hat das Regime einen anderen Zusammenhang zu befürchten, der die Wahl der Methode zur Beseitigung von Globovision erklären könnte: Nachdem 2007 der populäre Sender RCTV seine Sende-Erlaubnis verlor und große Teile der Bevölkerung dies als de facto Schliessung auffassten (und auch Revolutionären entging nun das beliebte Unterhaltungsprogramm), lehnte die Mehrheit der Bevölkerung in einem Volksentscheid Ende des selben Jahres die von Chávez vorgeschlagenen umfassenden Änderungen der Verfassung ab. Damit diesmal nicht der Eindruck einer verordneten Schließung samt Wahlhandicap entsteht, wird das Mittel der wirtschafltlichen Strangulation gewählt. Die von Steuerbehörden und Rundfunkaufsicht geforderten Nachzahlungen, Ordnungsgelder und Untersuchungen sind geeignet, den Sender inoperabel zu machen ohne eine Schließung dekretieren zu müssen.
Zu wessen Vorteil wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, der dem Staat im Kabelfernsehen größere Kontrollmöglichkeiten eröffnet (u. a. Beschränkung der Übertragung von ausländischen Sendern und die Möglichkeit staatliche Meldungen in Gleichschaltung auch hier zu übertragen)?

Diese Ausführungen entspringen nicht einer möglichen Verbundenheit zu Globovision (persönlich eher gering). Unabhängig davon, ob man Fan oder Gegner des Sendeprogramms ist, gilt es hier zu berücksichtigen, welch schweren Schlag man dem Grundsatz des Pluralismus und den freien Medien als Kontroll- und Kritikorgan staatlichen Handelns mit der Schliessung Globovisions versetzte. Wäre nicht in einem demokratischen Staat die de facto Schließung freier Medien (besonders wenn es nur noch einen freien Regionalsender gibt) ultima ratio in allerschwersten Fällen?
Für Staaten wie Saudi Arabien wäre diese kritische Beurteilung inadäquat. Saudi Arabien ist weder eine Republik noch demokratisch. Wenigstens vermeidet das Königreich auch zu behaupten, es zu sein und entbindet sich somit von den hohen institutionellen Standards einer demokratischen Ordnung, deren Einhaltung Venezuela immer stärker verfehlt. Sollte Globovision wirklich geschlossen werden, wen könnte die Revolution dann noch mit den Verzerrung der Wirklichkeit und der "Gefährdung der geistigen Gesundheit des Volkes" (O-Ton) beschuldigen? Und vielleicht noch wichtiger: Wie könnten selbst chavistas in Zukunft erfahren, was wirklich im Lande passiert?

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