
Unabhängig davon, ob dieses Vorgehen gegen Globovision begründet und zulässig ist, offenbart sich hier stellvertretend der weitere Zerfall der Institutionen Venezuelas.
Vielleicht sollte die Perspektive etwas erweitert werden. Die Grundlagen der politischen und gesellschaftlichen Ordnung insgesamt und die unter "Institutionen" zusammengefassten expliziten und impliziten Normen der sozialen Wirklichkeit eines vermeintlich demokratischen Systems erfahren eine ungünstige Beeinträchtigung. Unter dem in der Verfassung u. a. in Artikel 2 definierten demokratischen Charakter der Republik und dem wiederholten Anspruch des Regimes, "die demokratischste Nation des Kontinents" zu sein (poder popular, soberanía und participación sind nur einige der ständig bemühten Schlagworte), ist der Zweck staatlichen Handelns zum Wohle und im Interesse seiner Bürger anzunehmen.
"Venezuela constitutes itself as a Democratic and Social State of Law and Justice, which holds as superior values of its legal order and actions those of life, liberty, justice, equality, solidarity, democracy, social responsibility and, in general, the preeminence of human rights, ethics and political pluralism." (Artikel 2).Die Antwort auf die Frage nach dem qui bono? und der Motivation des jeweiligen staatlichen Handelns wirft jedoch kein gutes Licht auf die Funktionsfähigkeit der Institutionen bei der Verfolgung ihres demokratischen Auftrages (durch das fehlende Bestreben, diese Funktionsfähigkeit zu gewährleisten). Institutionen, die Ausdruck der Verfassung sind oder mit ihr konform sind, erfahren eine neue Ausrichtung an einer politischen Agenda, die sich bestenfalls, aus dem Programm der herrschenden Partei oder ihres Führers, Hugo Chávez, nährt und schlimmstenfalls aus dem immer stärker wahrzunehmenden und immer weniger eingedämmten Bestreben, eine Art neopatrimonialen Klientelismus auszuweiten.
Institutionen, die dieser Gleichschaltung entgegenstehen werden mit der vollen Wucht des Apparates bedrückt (z. B. Globovision, La Verdad, Universitäten, oppositionelle Länderregierungen) oder durch umfassende personelle Neubesetzungen (PDVSA ab 2003, "autonome" Institute des Staates) auf den ideologischen Kurs gebracht. Die Günstlinge hingegen sind dem Revolutionsführer (Parallele zum Iran beabsichtigt) treu ergeben, nicht unbedingt, weil sie das obskure politische Konzept teilen, sondern weil es in erster Linie Geld, Macht, Verwirklichung, einen Teil am Kuchen für sich selbst und die seinen bedeutet. Dies war tendenziell schon immer so in Venezuela, ist aber in den letzten zehn Jahren nicht besser geworden. Nicht umsonst ist aus der revolución bolivariana des geflügelte Wort der robolución bolivariana geworden (von robar: stehlen, klauen, rauben). Die vorangegangene paktierte Demokratie hat wenigstens eine gewisse Rotation und gegenseitige Kontrolle bedeutet, die zwar eine "Schattenrendite" abwerfen musste, extremste Missbräuche aber durch den gegenseitigen Neid begrenzen konnte. Neu ist die unerbittliche Verfolgung von Günstlingen oder Verbündeten, die der Revolution den Rücken kehren (z. B. General Baduel, Ismael García) oder sich nicht stromlinienförmig genug verhalten. Wie wenig ist der Revolution die Integrität selbst der grundlegendsten Institutionen wert, wenn eine Regierung ständig im Staatsfernsehen Mitglieder des gegnerischen polischen Lagers, darunter demokratisch gewählte Gouverneure und Bürgermeister, als Schuft, Mafioso, Verrückter, Bandit, Terrorist bezeichnet? Wer von einer jeweiligen Mehrheit ins Amt gewählte Gouverneure als Faschisten und Putschisten bezeichnet, beleidigt gleichzeitig jeden einzelnen seiner Wähler und aberkennt die Unantastbarkeit und höchste Autorität des in der Wahl ausgedrückten Volkswillens. Die völlig unangebrachten Attacken ad hominem belegen die mangelnde Fähigkeit (mindestens den mangelnden Willen) zur sachlichen Auseinandersetzung. Wie lästig erscheint der Revolution also der Mechanismus der demokratischen Legitimation jeglicher Regierungsgewalt, wenn sie nicht einen Kandidaten der Sozialistischen Einheitspartei Venezuelas zum Amt verhilft (siehe Gauleiter von Caracas)? Wie viel versteht Chávez von der Rolle freier Medien, wenn er Sendern mit Schließung droht, sofern sie ihr redaktionelles Konzept nicht ändern? Wie unabhängig der res publica verschrieben sind Organe, die auf präsidialen Zuruf (ohne verfassungsmässige Weisungsbindung) in Aktion treten?


Die Bevölkerung in den weniger urbanen Teilen des Landes, besonders die Ärmsten, haben also keinen wirklichen Zugang zu Globovision und erhalten Informationen über die landesweit sendenden und dem revolutionären Dogma verpflichteten Staatssendern oder von der Regierung abhängigen Regionalsendern.

Zu wessen Vorteil wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, der dem Staat im Kabelfernsehen größere Kontrollmöglichkeiten eröffnet (u. a. Beschränkung der Übertragung von ausländischen Sendern und die Möglichkeit staatliche Meldungen in Gleichschaltung auch hier zu übertragen)?
Diese Ausführungen entspringen nicht einer möglichen Verbundenheit zu Globovision (persönlich eher gering). Unabhängig davon, ob man Fan oder Gegner des Sendeprogramms ist, gilt es hier zu berücksichtigen, welch schweren Schlag man dem Grundsatz des Pluralismus und den freien Medien als Kontroll- und Kritikorgan staatlichen Handelns mit der Schliessung Globovisions versetzte. Wäre nicht in einem demokratischen Staat die de facto Schließung freier Medien (besonders wenn es nur noch einen freien Regionalsender gibt) ultima ratio in allerschwersten Fällen?
Für Staaten wie Saudi Arabien wäre diese kritische Beurteilung inadäquat. Saudi Arabien ist weder eine Republik noch demokratisch. Wenigstens vermeidet das Königreich auch zu behaupten, es zu sein und entbindet sich somit von den hohen institutionellen Standards einer demokratischen Ordnung, deren Einhaltung Venezuela immer stärker verfehlt. Sollte Globovision wirklich geschlossen werden, wen könnte die Revolution dann noch mit den Verzerrung der Wirklichkeit und der "Gefährdung der geistigen Gesundheit des Volkes" (O-Ton) beschuldigen? Und vielleicht noch wichtiger: Wie könnten selbst chavistas in Zukunft erfahren, was wirklich im Lande passiert?
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