Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Montag, 8. Juni 2009

Einseitige Aussenwirtschaft - Teil 1: Exporte



Von diesem Video (aus Aló Presidente vom 28.05.09) kann man sich die Belanglosigkeiten der ersten Hälfte getrost sparen. Anstoss für diesen Beitrag gab die Äusserung des Präsidenten ab der dritten Minute.
Die relevante Passage habe ich transkribiert und sinngemäss übersetzt.

Präsident Hugo Chávez, Minute 3:13:
"Venezuela tiene que salir de la trampa monoproductora petrolera. Eso fué una maldición. Solo lo lograremos con trabajo, capacidad, organización y tecnología [...]. Al capitalismo mundial le da miedo [...]"

Venezuela muss sich aus der Falle der einseitigen Erdölwirtschaft befreien. Das war ein Fluch. Wir können das nur durch Arbeit, Können, Organisation und Technologie schaffen. Der weltweite Kapitalismus fürchtet sich.
Besonders der erste Satz ist erschütternd. Er offenbart entweder, dass den Präsidenten erst jetzt nach zehn Jahren an der Macht, die Erkenntnis erreicht, eine auf die Monokultur des schwarzen Goldes ausgerichtete Nation zu regieren oder, dass es ihm schon immer klar war und er jetzt erst Handlungsbedarf in der Sache sieht. Die aussenwirtschaftliche Zukunft, die er in dem Clip beschreibt, in der Venezuela allerlei Güter neben Erdöl in (befreundete) Staaten exportiert, klingt nach einem fernen Utopia.

Die nachfolgenden Diagramme habe ich auf Grundlage der vom Banco Central de Venezuela (BCV) veröffentlichten Zahlen erstellt. Abbildung 1 zeigt den deutlichen Trend bei Güterexporten: Der Anteil nicht erdölbezogener Exporte betrug vor Chávez 1998 noch 31,2 % vom Gesamtvolumen und ist seit seinem Regierungsantritt bis 2008 auf 6,5% und somit auf ein Fünftel des Beitrages geschrumpft. [Zur Vergrösserung Grafiken anklicken]


Dass dieser Effekt nicht nur auf den steigenden Ölexporteinnahmen allein berüht, belegen Abbildungen 2 und 3: Zwar ist das Erdölexportvolumen drastisch gestiegen, das Exportvolumen nicht erdölbezogener Güter ist im selben Zeitraum nur marginal gestiegen (1998: 5,5 Mrd. US$; 2008: 6,1 Mrd. US$, knapp 11% Zunahme).


In der gesamten Regierungszeit der Revolución hat der Nicht-Erdöl-Export nur in zwei jahren ein deutliches Wachstum aufweisen können (2000, 2004), das dennoch nur ca. halb so hoch war wie der des Erdölsektors. In den zwei weiteren positiven Perioden war das Wachstum nicht nennenswert (2002) oder in keinem Verhältnis zum Erdölsektor (2005). In den restlichen Perioden (6 von 10) ist das Nicht-Erdöl-Exportvolumen geschrumpft.


Die Projektion der Raten für 2009 haben die vorhandenen Daten des ersten Quartals als Grundlage zzgl. eines Aufschlags von 20% auf die absoluten Werte. Da ich etwaige Saisonschwankungen der Quartale nicht berücksichtigt habe, kann das 1. Quartal 2009 und die darauf beruhende Aussicht zugegebenermassen möglicherweise nicht als repräsentativ angesehen werden. Wenn die Welt sich in 2009 nicht grundlegend ändert, dürfte der Trend mithin richtig sein.

Die Schlussfolgerung wirft kein positives Licht auf zehn Jahre bolivarianische Wirtschaftspolitik: Nicht nur ist es nicht gelungen, den Riesenanteil der Erdölexporte an den gesamten Güterexporteinnahmen zu reduzieren, er ist im Gegensatz sogar stark gewachsen. Mit ihm ist auch die Ausrichtung der Volkswirtschaft auf die Erdölexporte gefestigt und der Schutz gegen negative Ölpreisschocks zersetzt worden. 2009 und die folgenden Jahre werden hiervon Zeugnis ablegen. Alle anderen Güterexporte neben Erdöl haben keine bedeutende Zunahme erfahren. Dieser Sachverhalt kennzeichnet Venezuela als das, was auch Titel dieses Blogs ist: República del Petróleo, eine Bananenrepublik ohne Bananen (oder sonst etwas) und mit viel Erdöl.

Teil 2 widmet sich der Entwicklung der Importe

5 Kommentare:

  1. Ausgezeichnet, Zamuro, gut recherchiert. Vielen Dank, dass Du dies auf Deutsch schreibst.

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  2. Große Artikel Zamuro.

    Gute Schreibstil.

    Ich hoffe, das sie in die zukunf etwas mehr können schreiben.

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  3. vielen dank, kepler & alpha.
    ich habe ganz bewusst das bloggen auf deutsch gewählt, da es 1. auf englisch und spanisch schon gute blogs über venezuela gibt und 2. mir aufgefallen ist, dass die meinung im deutschsprachigen raum oft sehr unkritisch und die revolution verklärend präsentiert wird. insgesamt habe ich den eindruck, dass der deutschsprachige raum die unvollständigsten informationen zur lage venezuelas hat.

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  4. Und Du hast ins Schwarze getroffen.

    Hast Du gelesen, was die Sarah Wagenknecht (Europapar. der Linke und zwar extrem)
    geschrieben hat?
    "Innerhalb von wenigen Jahren brachte man mehr als 1,5 Millionen Menschen das Lesen und Schreiben bei, die Analphabetenrate wurde von über 11 Prozent auf nahezu null reduziert."
    Hallo? Wie kann man so unverschämt lügen? Das hat nicht mal Norwegen geschafft. Venezuela nimmt seit 1998 nicht mehr an offenen, internationalen Schulleistungsuntersuchungen teil und wir wissen warum.
    Auf jeden Fall danke.

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  5. und dass genau solche märchen weiterverbreitet werden merke ich im gespräch mit so vielen.

    mir lag eine studie vor, die eine realistische einschätzung der "erfolge" der bildungsmissionen bot. wenn ich sie wiederfinde, gibt es dazu vllt. noch einen beitrag.

    mision ribas zB hat ja schon in der vergangenheit mit diesem foto für lacher gesorgt
    http://farm2.static.flickr.com/1199/986135081_91da857e39.jpg

    genauso wie die offiziellen äusserungen zur verminderung der armut in venezuela sind die zahlen zur alphabetisierung weiterhin reine "glaubenssache".

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