Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Freitag, 10. Juli 2009

Inflación Bolivariana

Venezuela hat sich in den letzte Jahren immer stärker durch eine hohe Inflationsrate von anderen Ländern der Region unterschieden. Allein in 2008 lag die jährliche Inflationsrate in Venezuela mit 30,9% nicht nur bei einem Vielfachen des lateinamerikanischen Durchschnitts, sondern war auf der westlichen Hemisphäre die höchste. Nur in Zimbabwe dürfte es weitaus schlimmer zugehen (dort verdoppelten sich Ende 2008 die Preise täglich).
Gleichzeitig gehen Wirtschaftswachstum und Konsumintensität zurück. Die klassischen Merkmale einer Stagflation. In Venezuela scheint eine persistente Inflation der letzten Dekade die Folge der bolivarischen Wirtschaftspolitik zu sein. Gerade die ärmeren Bürger werden einer Verschlechterung der Lebensumstände strärker ausgesetzt sein, wenn nicht ein baldiger und deutlicher Ölpreisanstieg die Regierung Chávez mit großen Mittelzuflüssen versorgt, um soziale Programme gleichbleibend zu unterhalten. Insofern könnte sich die hohe Inflation als eine weitaus größere Bedrohung für das Regime erweisen als jede denkbare politische Opposition dieser Tage.

Besonders in den letzten Jahren hat die Revolution die Geldmenge stark ausgeweitet. Der etablierte Mechanismus, "Überschussreserven" der Zentralbank an von der Regierung verwaltete Institutionen zu transferieren hat diesen Effekt weiter verstärkt. Aber diese als Überschuss deklarierten Reserven dienen bereits zur Deckung des inländischen Geldvolumens in Bolívares. Die in Dollar durch PDVSA erzielten abführbaren Einnahmen müssen bei der Zentralbank in Bolívares eingetauscht und dann an den Fiksus abgeführt werden. Die Dollarreserven decken also eine zum offiziellen Wechselkurs von 2,15 BsF/US$ getauschte Menge inländischer Währung, die üblicherweise durch Staatsausgaben in den Kreislauf gelangt. Wenn nun vermeintliche überschüssige Dollarreserven erneut an den Staat (üblicherweise über den nationalen Entwicklungsfond, FONDEN) ausgeschüttet werden, dann tauscht dieser nun zum zweiten Mal Bolívares gegen den selben Dollar (der bereits zuvor als Bolívares ausgegeben wurde) und bringt noch mehr einheimische Währung in Umlauf. Eine verständliche Erläuterung dieser fraglichen Prozedur findet sich hier. Devisenreserven, die bereits inländische Währung decken, sind keine Reserven für Notzeiten. Sie sind schon ausgegeben (siehe auch diesen Beitrag).
Abbildung 1 zeigt, wie stark die Geldmenge M2 - auch dank dieses Multiplikationsmechanismus' - im Vergleich zum Dollarreservenbestand gestiegen ist. Dass eine solch starke Geldmengenausweitung nicht mit einem entsprechenden Wirtschaftswachstum einhergeht (um dieses zu alimentieren), ist auch sichtbar (Werte normiert in 1999). Immer mehr Bolívares decken eine relativ langsam wachsende Menge an Gütern und Dienstleistungen, die Preise steigen, die Kaufkraft jedes Bolívar sinkt. Mehr über den Zusammenhang zwischen dem hier beschriebenen Mechanismus und Inflationsentwicklung hier.

Ein exemplarischer weiterer Grund für ein zunehmende Preissteigerungsrate sind die sich durch mangelhafte Devisenzuteilung verteuernden Importe (vgl. ¿Dólares? No hay... und Einseitige Aussenwirtschaft - Teil 2: Importe). Wer keine Dollar für Importzwecke zum offiziellen Kurs erhält, weicht auf den Parallelmarkt aus, wo die Kaufkraftverschlechterung des Bolívar den Erwerb von Dollars stetig verteuert. Um mindestens Kostendeckung zu erreichen, steigen also die Endpreise von Importware, was den Kreislauf weiter antreibt.
Die Wirtschaftspolitik trägt nicht nur direkt zur Inflation bei, sondern setzt auch die inländische Produktion unter Druck: Die Mittel, die nicht beispielsweise über FONDEN durch die Regierung für Ausgaben im Inland verwendet werden (was im Widerspruch zu FONDENs Satzung steht), verwendet der staatliche Sektor direkt in Form von Dollar für große Käufe im Ausland. Das dadurch große Angebot an billigeren Basisgütern (auch durch bilaterale Abkommen, "Öl gegen Bohnen") macht inländische Produzenten unrentabel.

Gleichzeitig geht das Wirtschaftswachstum zurück, während die Arbeitslosenquote im Mai erstmals leicht zunimmt und auch die Beschäftigungsquote auf dem sog. "informellen Sektor" (oft keine vollwertige Erwerbsgrundlage) wieder ansteigt. Ungünstige Wirtschaftsbedingungen führen allerdings oft mit Verzögerung zu höheren Arbeitslosenzahlen (Für 2009 evtl. 10%, Schätzung des ehemaligen Zentralbankdirektors).
Für das laufende und das kommende Jahr wird das Inlandsprodukt voraussichtlich sogar schrumpfen. Zusammen mit der hohen Inflation kennzeichnet dies eine mögliche Stagflation. Problematisch hierbei ist, dass die Wirtschaftspolitik aufgrund dieser zwei Probleme "nichts richtig machen kann": Mehr Staatsausgaben durch frisch gedrucktes Geld stützen das Wirtschaftswachstum, heizen aber die Inflation an und umgekehrt. Die Regierung hat in den letzten Monaten den Haushalt (also reguläre Ausgaben) gekürzt und Kredite im Ausland aufgenommen, um Staatsausgaben zu ermöglichen.
In Abbildung 2 ist die sich weiter öffnende Schere zwischen Inflation und Wirtschaftswachstum ersichtlich. Die Inflationsschätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) für 2009 und 2010 sind recht pessimistisch. Das Inflationsziel von 12% hat das Finanzministerium bereits aufgegeben, erwartet werden ca. 28% in 2009. Im Rahmen der volkswirtschaftlichen Kontraktion ist eine leichte Abnahme der Inflation im Vergleich zu 2008 denkbar.

Weiss man um die hohe Inflation, ist es etwas verwunderlich, wie die Regierungsmedien die letzte Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes als so große Errungenschaft präsentieren können. VTV erklärt, dass Venezolaner den höchsten Mindestlohn Lateinamerikas erhielten und belegt dies anhand des nominalen Mindestlohns. Dies mag in Volkswirtschaften mit geringem Preisniveau-Ansstieg vielleicht noch akzeptabel sein, im Falle Venezuelas allerdings ist es höchst unseriös. Die für 2009 vorgesehenen Anhebungen des nominalen Mindestlohnes um je 10% im Mai und September bedeutet lediglich eine versuchte Anpassung des realen, von Inflationseffekten bereinigten, Mindestlohnes an den steigenden Preisindex. Dank der hohen Inflation könnte der Real(mindest)lohn trotz Anhebung sogar sinken. Zusätzlich legt der Regierungssender für die Umrechnung des Lohnes in US$ den offiziellen fixen Wechselkurs zugrunde, der ja gerade den Kaufkraftverlust des Bolívars kaschiert. Zum echten Wechselkurs läge der preisbereinigte Mindestlohn sehr weit unter dem angegebenen Wert. Der gestzliche Mindestlohn, bzw. festgelegte Vielfache davon, ist auch Bemessungsgrundlage für Gehälter der öffentlichen Verwaltung und anderer staatlich Beschäftigten.
Diese notwenige Anhebung des Mindestlohnes kann wiederum selbst über die höheren Lohnkosten inflationäre Effekte verstärken.

Der Preisanstieg hat mittlerweile auch die Erhöhung der Preise in den staatlichen Mercal- und Pdval-Läden herbeigeführt und die Anhebung der regulierten Preise erzwungen. Die dort geltenden niedrigen Festpreise scheinen sogar für diese staatliche geführte, soziale Unternehmung "unrentabel" (?). Die sinkenden Staatseinnahmen haben auch zu einer Kürzung der finanziellen Ausstattung der Sozialmärkte geführt (einige wurden geschlossen). Immer wieder sah man auch in den staatlichen Läden leerer werdene Regale und ein schrumpfendes Sortiment - klares Anzeichen für Inflation bei festgelegten Höchstpreisen (und möglicherweise auch für Korruption, aber das ist ein anderes Thema). Ein Konsumrückgang dürfte wieder für weniger leere Regale sorgen.
Es ist ein Rückgang des Konsums insgesamt zu beobachten und eine Umstrukturierung des Nahrungsmittelkorbes hin zu billigeren Gütern, weniger Proteine, mehr Mehl und Reis. Die Konsumausgaben werden zunehmend von nicht-essentiellen zu lebensnotwenigen Gütern umgeschichtet. Offenbar sinkt in dieser Hinsicht die Lebensqualität spürbar.

Hieraus können wir ableiten, dass die Wirtschaftspolitik der Revolution nicht nur völlig auf hohe Ölpreise angewiesen ist, sondern auch, dass sie beim Ausbleiben der Petrodollars die ärmeren Schichten stärker beeinträchtigt. Sie können sich nicht nur keine Zusatzausgaben mehr leisten, sondern müssen schon beim Lebensnotwenigen durch billigere oder minderwertige Güter substituieren. Im schlimmsten Fall können sie mit ihrem Einkommen nicht einmal mehr den billigsten Nahrungsmittelkorb erwerben. Die Ausweitung der Sicherung des Überlebens durch Lebensmittelkoupons, die selbst schon ein Indiz für Mangelwirtschaft sind, dürfte noch weiter zunehmen. Die Aufrechterhaltung der sozialen Programme scheint sehr schwierig zu sein. Die Regierung versucht in den letzten Monaten an allen Stellen Geld zusammenzukratzen, obwohl der Präsident noch zu Jahresbeginn klar versicherte, dass die internationale Wirtschaftskrise Venezuela dank der vorhandenen Reserven und Rücklagen nur minimal treffen würde.
Eine für das Regime ungünstige Konsequenz dieser Verschlechterung der Lebensumstände dürfte in einer noch weiter wachsenden Unzufriedenheit der ärmeren Schichten entstehen. Während "die Massen" bislang - dank betäubendem Petrodollartropf - die Autokratisierung der Republik unter Hugo Chávez begrüßen mögen und den Zerfall der Institutionen und der Verfassungsmäßigkeit vielleicht tolerieren, so werden sie sicherlich nicht hinnehmen können, dass die durch die Revolution erhoffte Beseitigung des Elends nicht stattfindet. Schon Ende der achtziger Jahre waren plötzliche Preiserhöhungen bei sich verschlechternden Lebensbedingungen Auslöser für Aufstände und Proteste. Als Messias gerade dieser Prostestbewegung sieht sich Chávez. Was die bedauernswerte, völlig auf die "Ölwette" aufgebaute Wirtschaftspolitik mit ihren Folgen an der Glaubwürdigkeit und Beliebtheit des comandante zu beschädigen vermögen, hat die politische Opposition der letzten Jahre nicht vermocht.

1 Kommentar:

  1. hmmm seit Februar gibt es diesen Blog schon? Bin leider noch nicht vorher darueber gestolpert...
    Damit mehr Leute hier lesen vielleicht mal hier posten?
    www.latinoportal.de
    www.latinofreunde.net
    forum.politik.de (Hugo Chavez Strang)
    Natuerlich bedeutet mehr Leser mehr Input Deinerseits :-)

    Liebe Gruesse und Gute N8
    Hans

    AntwortenLöschen