Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Montag, 20. Juli 2009

Arbeitgeber Staat

Rafael Ramírez, Minister für Energie und Bergbau und Präsident von PDVSA, des wichtigsten (Staats-)Unternehmens Venezuelas, verweigert den regulären Gewerkschaften die Verhandlungen über neue Tarifverträge. Die Mehrheit der durch PDVSA beschäftigten Arbeiter sind in einer der Gewerkschaften organisiert, die gemeinsam die Federación Unitaria de Trabajadores Petroleros de Venezuela (Futpv), eine Art Dachorganisation, bilden.
Seit einiger Zeit wird immer häufiger und heftiger Protest seitens der Arbeiter von PDVSA und auch anderen Staatsunternehmen in Primärindustrien hörbar. Teilweise sind abgelaufene Tarifverträge seit Monaten und - in einigen Fällen sogar Jahren - nicht neu verhandelt worden, überwiegend, weil gerade der Staat als wichtig(st)er Arbeitgeber die Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern verweigert. Das Ministerium für Arbeit, als denkbare Vermittlungsinstitution, zeigt sich in letzter Zeit sehr bedeckt, während der Staat auf den Aufbau von "alternativen", weniger streitbaren Vertretungsgremien der Arbeiterschaft setzt.

Allein bei PDVSA sind Anfang des Jahres ca. 75.000 Menschen in Lohn und Brot. Diese Zahl sollte sich nach der Anfang Mai erfolgten staatlichen Übernahme von Dienstleistern und Zulieferern des Erdölgiganten in der Region östlich des Maracaibossees stark erhöhen. Eine Aufnahme von ca. 22.000 weiteren Arbeitern in die Lohnliste von PDVSA müsste stattfinden, wenn keine Stellen gestrichen werden (was der Staat bei der Enteignung versicherte). Viele Arbeiter der übernommenen Dienstleister beklagen noch immer das Ausbleiben einer Übernahme und somit auch von Einkommen. Nach einem Monat waren erst 668 dieser Arbeiter in das Staatsunternehmen aufgenommen worden, obwohl der Präsident PDVSAs eine wöchentliche Übernahmequote von 1.000 Arbeitern versprach. Zusätzlich ist anzunehmen, dass die Einstellung der neuen Arbeiter auch maßgeblich nach "ideologischer Eignung" erfolgt (die Tascón-Liste, in der die Namen der Unterzeichner des Volksbegehrens zur Abberufung des Präsidenten in 2004 geführt werden, dient hier als Grundlage). Diese unzureichende Absorbtion von Arbeitskräften schlägt auch auf die wirtschaftliche Situation der gesamten Region durch. Vertreter von Arbeitgeberverbänden erklären, die wirtschaftlichen Aktivitäten der Region seien auf 20% des Niveaus vor der Verstaatlichung gefallen.

Aber auch diejenigen Arbeiter, die Teil der Belegschaft PDVSAs sind, haben in ihrem Arbeitgeber keinen fairen Verhandlungspartner. Herr Ramírez schließt kategorisch jede Verhandlung mit "Feinden der Revolution" aus und meint damit offensichtlich auch die Arbeitervertretung durch Futpv, der größten Arbeiterdachorganisation des Sektors (190 Einzelorganisationen und ca. 50.000 Mitglieder). Mehr noch, er mischt sich aktiv in die Wahlen der Arbeitervertretung ein und droht Arbeitern und Verbänden: "Wer nicht in einem sozialistischen Komittee ist, ist der Verschwörung gegen die Revolution verdächtig". Diese sozialistischen Komittees sind natürlich durch die Regierungspartei organisiert. Er befürwortet klar die Wahl der ihm eher genehmen revolutionären Bewegungen (die seiner eigenen Partei nahe stehen oder ihr zugeordnet sind) und diskreditiert andere zur Wahl stehende Vertreter als "von der Oligarchie begünstigt". Die seinerseits gemachten Vorschläge eines Tarifabkommens beschneiden die Freiheit der gewerkschaftlichen Tätigkeit.
Vergessen wir nicht, dass ein Großteil der Beschäftigten PDVSAs nach dem großen landesweiten Streik (Produktionsstopp) von 2003 bereits einer Säuberung zum Opfer fielen. Heute protestieren nun auch bekennende chavistas, die bei aller Liebe zum Revolutionsführer trotzdem essen und menschenwürdig leben wollen.
Proteste von Arbeitern staatlicher Unternehmen werden immer häufiger strafrechtlich verfolgt, es findet eine Kriminalisierung derjenigen statt, die für eine würdige Verbesserung ihrer Arbeits- und Einkommenssituation kämpfen.

In einem Land, in dem die hohe Inflation und vor Jahren ausgehandelte und mittlerweile abgelaufene Tarifabkommen das reale Lohneinkommen auffressen, ist es alles andere als ein Privileg, für einen Staat zu arbeiten, der unfairer Verhandlungspartner und parteiischer Schiedsrichter in einem ist. Der private Sektor hingegen zeichnet sich im Vergleich eher durch vorbildliche Einhaltung von Tarifverträgen und ihre rechtzeitige Neuverhandlung aus (nicht zuletzt, weil staatliche Instanzen den Privaten viel strenger auf die Finger schauen als sich selbst).
Es ist grotesk, dass eine Regierung, die sich einer arbeiterfreundlichen, sozialistischen politischen Bewegung verschreibt, gerade die große Masse der Arbeiter so lange hinhält und demütigt. Der letzte Tarifvertrag zwischen PDVSA und seiner Belegschaft endete im Januar dieses Jahres. Verschärfend kommt hinzu, dass gerade Herr Ramírez selbst, der kürzlich ausrief:
"Die Oligarchie muss uns fürchten, weil wir die Oligarchie hassen und nicht zulassen, dass sie gegen unseren comandante und unsere revolución vorgeht."
als einer der höchstbezahltesten Angestellten des Staates gilt. Ende 2008 verdiente er mit monatlich mindestens 30.000 US$ ein einem Oligarchen würdiges Gehalt. In der ersten Hälfte von 2009 wurden die Verdienststaffelungen der leitenden staatlichen Angestellten und anderer Staatsbediensteten allerdings angepasst. Laut eigenen Angaben verdient er nun nur noch einen Bruchteil davon.

Seit die Regierung immer mehr Industrien unter staatliche Kontrolle gebracht hat, führt sie sich selbst in der Behandlung ihrer Arbeiter immer häufiger so schlimm auf, wie es selbst die Karikatur eines Laissez-faire Kapitalisten nicht könnte. Wie nah ist die Verwirklichung eines Arbeiterparadieses, wenn gerade der Staat als Vehikel dieser sozialistischen Umformung für die eklatantesten Mißstände in den Arbeits- und Verdienstbedingungen verantwortlich ist? Wie viel Respekt genießt die Arbeiterselbstverwaltung, die nur anerkannt wird, wenn sie durch regierungsabhängige Organe stattfindet? Welcher Grad an institutionellem und sittlichen Verfall ist zu attestieren, wenn die Beschäftigung durch den Staat nur vermeintlich "politisch sauberen" Bürgern offensteht (bzw. Kündigung im umgekehrten Fall) und wenn Streik und Protest nicht als verfassungsmässiges Recht, sondern als Straftat angesehen werden?

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