Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Dienstag, 28. Juli 2009

Revolution und Armut

Kürzlich veröffentlichte Studien über die Entwicklung der Armut in Venezuela seit der Machtübernahme durch Hugo Chávez und seine revolución können aufgrund ihrer Ergebnisse nicht unerwähnt bleiben - wenn auch für die Bedeutung des Themas unangemessen kurz.
Während die Daten über Armutsentwicklung seitens des Instituto Nacional de Estadística (INE) oft dazu verwendet werden, die Verbesserung der Lebensumstände der Venezolaner zu belegen, zeigen zusätzliche Untersuchungen ein weniger vorteilhaftes Bild. Neben der Antwort auf das "Ob" einer Armutsreduzierung ist auch die Frage nach dem "wie angemessen" wichtig, wenn man bedenkt, dass der Regierung im letzten Jahrzehnt astronomische Ölexporteinnahmen zur Verfügung standen und sie damit eine vermeintlich "armenfreundliche" Politik verfolgt.
Zur Verdeutlichung der verschiedenen Ergebnisse, habe ich Daten verschiedener Quellen grafisch dargestellt.



Laut INE ist die Armut zwischen 2000 und 2007 insgesamt von 48,3% auf 33,6% gesunken, davon die extreme Armut (Einkommen geringer als Nahrungsmittelkorb) von 19,5% auf 9,6%.
Abbildung 1 bietet eine Darstellung dieser Entwicklung. In den Fußnoten des INE wird erwähnt, dass die Armutsgrenze durch die Einführung der Misión Mercal (staatliche Lebensmittelläden) angepasst wurde. Wie genau und ab welchem Zeitpunkt dieser "Bruch" in der Statistik auftritt, wird nicht gesagt (zumindest habe ich keine Angaben zur Methodenänderung gefunden). Mercal wurde offiziell im April 2003 eingeführt und sollte die Armut der Bevölkerung durch den Verkauf von Lebensmitteln zu niedrigen, relativ fixen Preisen lindern. Aus einem Zeitungsartikel (den ich leider nicht wiederfinde) ging hervor, dass die Regierung davon ausgeht, mindestens 90% der Venezolaner hätten Zugang zu diesen staatlichen Läden (mehr zur Misión Mercal bei Gelegenheit an anderer Stelle). Der Präsident monierte in einer seiner sonntäglichen Shows die "alte, kapitalistische Art" der Armutsmessung. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Berücksichtigung von Mercal ab spätestens Anfang 2005 in die Statistik einfliesst und offenbar davon ausgeht, dass tatsächlich fast jeder Bürger Zugang zu Mercal hat (was fraglich bleibt).

Neueste Untersuchungen durch Luis Pedro Espana, Leiter des Projekts Armutsforschung an der Universidad Católica Andres Bello (UCAB) ziehen einen Vergleich zwischen der Situation der Armen in 1998 und 2008. Die Ergebnisse derselben legen nahe, dass in dem Zehnjahreszeitraum die Armut und besonders die extreme Armut weitaus weniger zurückgingen als die große Flut an Petrodollars in die Staatskassen, dank Ölpreishoch, vermuten lassen.
Abbildung 2 b zeigt die entsprechenden Veränderungen. In zehn Jahren (davon neun unter Präsident Chávez) ging die Armut insgesamt lediglich um ca. 8% zurück, während die extreme Armut gerade einmal um 3% schrumpfte - für nahezu eine Dekade von vielbeworbenen Initiativen und Erhöhungen sozialer Ausgaben kein gutes Ergebnis.
Die Studie betrachtet Segmente der Bevölkerung u. a. entsprechend ihres Einkommens, der Verfügbarkeit von Konsumgütern und Bildungsstand, wobei Haushalte des Segments E die Armsten darstellen, ein Einkommen unterhalb von 418 US$ (offizieller Wechselkurs!) besitzen, somit unterhalb des Werts des Lebensmittelkorbs und die meist nur Grundschulbildung geniessen. Die weiteren Segemente staffeln sich entsprechend der Kaufkraft des Haushalts gemessen in Lebensmittelkörben und weiteren Annehmlichkeiten, wie z. B. das Vorhandensein eines Automobils. Segment B besitzt ein Einkommen von mind. 5 Lebensmittelkörben monatlich.


Luis España kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaftliche Expansion nach 2004 zwar deutliche Auswirkungen auf die Einkommen der Bevölkerung hatte, jedoch v. a. für jene, die in der Lage waren, an der "Erdölrente" zu partizipieren. Die grundlegende Verbesserung der Lebensumständer ärmerer Schichten hingegen, bleibt ein Mythos. Die Verbesserungen dank Öldollarzuflüssen sind nicht in dem Maße in die untersten Schichten durchgesickert, wie die Regierung so oft versichert. So beträgt der Anteil der staatlichen Transferleistungen zugunsten der Ärmsten (Segment E) nicht mehr als 27%.
Abbildung 2 a zeigt die Anteile der Bevölkerung, die in 1998 und 2008 unter bestimmten Kennzeichen von Armut litten. Nicht nur hat der Anteil der Ärmsten zugenommen, der seine Wohnstätte auf ungedeckten Erdböden hat, auch der Anteil jener Bürger, die ohne Wasseranschluss auskommen müssen, stieg. Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass der Anteil derjenigen aus dem relativ "guten" Segment B, die in den Armenvierteln (Slums) leben müssen, sich mehr als verdoppelt hat, u. a. weil die Verfügbarkeit von Wohnraum beschränkt ist (siehe dazu auch: Mission failed: Habitat).


Auch eine Erhebung durch Datos, ein privates Forschungsinstitut, zeichnet ein wenig vorteilhaftes Bild der Armutsreduzierung allein zwischen Mai 2009 und November 2008. Die durchschnittliche Kaufkraft des überwiegenden Teils der Bevölkerung ist - berücksichtigt man die Inflation in diesem Zeitraum - real gesunken. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gehörten zu Segment E.
Abbildung 3 a stellt die Veränderung des realen Einkommens für Segmente C bis E dar. Segmente D und E, die einen Anteil von zusammen 81% haben (vgl. Abbildung 3 b), verzeichnen einen deutlichen Rückgang des Monatseinkommens. Segment C geniesst noch einen kleinen realen Zuwachs. Der gewichtete Durchschnitt des Einkommensverlustes für die drei betrachteten Segmente (zusammen 96% der Gesamtmenge) im o. a. Zeitraum betrug ca. 9%. Die meisten verdienen weniger, während wenige mehr verdienen. Eine Untersuchung über die Ungleichverteilung der Einkommen (Gini-Koeffizient ohne Nulleinkommen ) durch Rodríguez belegt ebenfalls diese Tendenz (Verweis wird nachgereicht).

Da wegen der Unklaren Methodik des INE (es findet sich keine nachvollziehbare Dokumentation der Änderungen) möglicherweise die Vergleichbarkeit heutiger Daten mit Referenzpunkten aus der Vergangenheit beeinträchtigt sein könnte, ist das Hinzuziehen zusätzlicher Untersuchungen mit intertemporal gleichbleibenden Methoden notwendig. Nicht nur weisen die zwei angeführten Untersuchungen ein bescheidenes Ergebnis bei der Armutsreduktion aus, es besteht offenbar gerade in den letzten Monaten sogar ein weiterer Rückgang der untersten Einkommen und somit eine Verschärfung der Armut.
Nachdem die Arbeitslosenzahlen seit April wieder leicht ansteigen und mittlerweile weitere Arbeitsplätze wegfallen, während der Staat nur mit großer Mühe die sozialen Ausgaben aufrecht erhält, könnte diese Entwicklung sich in 2009 weiter vertiefen.
Der Mangel an Transparenz bei der Entwicklung und Durchführung sozialer Projekte, das Fehlen von Kontrollen und Aufsicht staatlichen Handelns ist so weit verbreitet und systematisch, dass es offenbar gewollt ist (qui bono?). Die Rekordeinnahmen, die die bolivarische Revolution verwalten konnte, haben miserable messbare Ergebnisse geliefert. Aber wie soll man die Ausgaben ohne Monitoring und laufende Auswertungen (Dokumentation harter Daten verschiedener sozialer "Missionen" nicht verfügbar) effizient verwenden?
Das deutlichste Ergebnis bleibt das Fehlen von Nachhaltigkeit bei der Wahl und Durchführung der Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensumstände der Armen. Sämtliche Programme sind nicht aus sich selbst heraus oder aus stabilen Haushaltsposten tragfähig und tragbar, sondern hängen direkt mit der Entwicklung der Öleinnahmen zusammen. Die Volatilität der Öleinnahmen scheint immer stärker auch die Volatilität der Einkommensverhältnisse der unteren Schichten zu bestimmen (mehr zu diesem Thema in einem zukünftigen Beitrag). Auf welchem Planeten eine Regierung eine solche Sozialpolitik als Erfolg verkaufen kann, bleibt ein Rätsel. Dieser kann es nicht sein...

2 Kommentare:

  1. Ausgezeichneter Post, Zamuro. Es ist nur so traurig, dass wir darüber berichtigen müssen...Venezuela ist trotz oder eher wegen so viel easy money noch weiter von einer nachhaltigen Entwicklung. Ich will mir nicht vorstellen, wie die Zahlen fürs nächste Jahr aussehen werden...deswegen will Chávez "der Asamblea Nacional" behilflich sein" und kraft Vollmacht die sogenannte Revolution beschleunigen.

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  2. "die Revolution beschleunigen" heisst dann wohl, Kritik zu unterdrücken. Ohne Kritik sieht ja alles gleich viel besser aus...

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