Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Montag, 10. August 2009

Freie Medien unter Druck

Zu Monatsbeginn verwirklichte die venezolanische Regierung erste Maßnahmen zur Einschränkung der Medienfreiheit privater Sender im AM- und UKW-Spektrum. Bereits vor einigen Wochen wurde durch den zuständigen Superminister, Diosdado Cabello, die Entziehung der Konzession von rund 240 Sendebetrieben erwogen. Den ersten 34 wurde nun im ersten Schritt zur "Demokratisierung" des Äthers durch die Comisión Nacional de Telecomunicaciones (Conatel), der Cabello vorsteht, mit Verweis auf schwache und rechtlich fragwürdige Gründe die Sendegenehmigung entzogen.
Gleichzeitig sorgt der Vorschlag eines "Gesetzes gegen Mediendelikte", den die Bundesanwältin Luisa Ortega Díaz in einer Gastrede vor der Nationalversammlung vorstellte im In- und Ausland für Befremdung, selbst im chavistischen Lager.

Auf Anordnung von Conatel mussten 34 Radiosender im ganzen Land in der Nacht zum 1. August ihren Sendebetrieb einstellen, während Conatel derzeitig weitere Schliessungen vorbereitet. Cabello kommentierte die zügige Aktion in einer Pressekonferenz:
"Ich habe die Beschlüsse schon unterschrieben. Conatel begibt sich zum Sitz des jeweilgen Senders und teilt der Leitung mit, die Übertragungen sofort einzustellen."
Es ist wichtig festzuhalten, dass die Sender keinerlei Vergehen gegen die mit der Nutzung der Konzession auf sie Anwendbaren Gesetze begangen haben, welche überlicherweise ein Verwaltungsverfahren durch Conatel rechtfertigen. Der Entzug der Sendeerlaubnis erfolgt mit Verweis darauf, dass die heutigen Konzessionäre nicht mehr mit den ursprünglich Begünstigten übereinstimmen. Oft sind die Konzessionen schon vor sehr langer Zeit vergeben worden und so haben z. B. in einigen Fällen die Erben der erstmalig mit der Konzession Begünstigten den Sendebetrieb weitergeführt - und Conatel war seit jeher in Kenntnis dieser Tatsache, die Konzessionsweiterführung war bislang nie ein rechtlicher Konfliktpunkt. Wäre die Vererbung oder Übertragung von Konzessionen rechtlich problematisch, hätte sich die Regierung bei der Schliessung von RCTV in 2007 viel Mühe ersparen können (Der ursprüngliche Konzessionär war zu dem Zeitpunkt schon länger verstorben und die Erben/Nachfolger in der Verantwortung).
Selbst wenn die Konzession neu verhandelt oder eingezogen werden soll, ist in jedem Staat, der sich nicht nur dem Namen nach 'Rechtsstaat' nennt mindestens ein ordentliches Verwaltungsverfahren, Anhörungen der Betroffenen, vorherige Mitteilung eingeleiteter Prüfungsmassnahmen, die Möglichkeit der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung und Übergangsfristen Anforderung an ein solches Vorgehen, besonders dann, wenn die betroffenen Sender sich keiner Übertretung der strengen Mediengesetze schuldig gemacht haben. Ganz im Gegenteil: Cabello weigerte sich ausdrücklich, Beschwerden und Eingaben der betroffenen Sender anzuhören und schliesst Verhandlungen über künftige Entziehungen von Konzessionen aus.

Der eigentliche Grund der Senderschliessung lässt sich vielleicht an den vorhergehenden Äusserungen der Regierungsvertreter und der chavistischen Parteigänger im Zusammenhang mit den in der ersten Schliessungswelle betroffenen Sender ablesen.
Schon seit längerer Zeit greift das Regime wiederholt die privaten Medien wegen ihrer angeblichen falschen, übertrieben kritischen, einseitigen, die Bevölkerung ängstigenden, 'terroristischen' Berichterstattung an.
Ich gestatte mir hier einen kurzen Exkurs, der die Denkweise der Regiungsvertreter nachzeichnet:
Die verkehrte Logik, negative Berichterstattung erfolge ausschliesslich aus der Motivation des Berichtenden ("Verschwörung") und nicht, weil eine Fülle von negativen Umständen vorhanden ist, von denen sich jeder Journalist bequem ein Thema aussuchen kann, belegt exemplarisch die "Informations"ministerin Blanca Eekhout.
Frau Eekhout, einer der vielen schwachen Geister der Regierung, beklagt eine internationale Medienverschwörung gegen Venezuela und verweist auf eine Studie ihres Ministeriums, in der Artikel der internationalen Presse bezüglich der Wiedergabe eines positiven oder negativen Bildes der Regierung Chávez untersucht wurden. So gibt sie zu, dass 50% der betrachteten Artikel ein negatives oder sehr negatives Bild zeichnen, während nur 20% sich neutral oder "informativ" (man beachte die Unterscheidung
negativ oder informativ) äussern. Frau Eekhout setzt offenbar nicht nur Kritik mit Desinformation gleich, sondern geht von einer umgekehrten Kausalität aus: Negative Berichte enstehen nicht etwa, weil Zahl und Schwere der Misstände in Venezuela zunimmt, sondern weil die internationale Presse eine Art geheime Abmachung zur Verunglimpfung der Revolution eingegangen ist. Revolutionäre Logik. Weniger einfältige Menschen hätten an Frau Eekhouts Stelle vielleicht eher geschwiegen, als sich selbst und das durch sie vertretene politische Projekt durch solche Statements noch lächerlicher zu machen.
Von den bis zu 55% der nationalen Senderlandschaft, die von der willkürlichen Schliessung bedroht sind, fallen zunächst sicherlich die dem Regime nicht genehmen Betriebe zum Opfer. So sind schon unter den ersten 34 zum Schweigen gebrachten Rundfunksendern einige, die oppositionellen Politikern Sendezeit eingerichtet hatten (erinnern wir uns daran, dass Hugo Chávez mindestens (!) jeden Sonntag mehrstündig im Staatsfernsehen Monologe führt und nach Belieben Gleichschaltungen anordnet).

Was geschieht mit den durch den Konzessionsentzug freiwerdenden Sendeplatz? Die Frequenzen werden an staatliche Sender oder medios comunitarios (Gemeindesender) übertragen, wobei die Regierung bemüht ist, die Gemeindesender von den "staatlichen" zu unterscheiden, um die Dominanz des Staates unter den verfügbaren Sendern zu verschleiern. Da aber auch die Gemeindesender staatlich finanziert sind und nicht nur organisatorisch, sondern auch von der Gunst des Regimes abhängig sind, bleibt ausgeschlossen, dass einer dieser Sender eine unabhängige Berichterstattung entwickeln kann. Hinzu kommt, dass diese medios comunitarios
in der Regel eine sehr geringe Senderreichweite und mangels Professionalität auch oft minderwertige Programme (häufig nicht einmal ein durchgehendes oder zusammenhängendes Programm) haben. Überregionale Nachrichten werden dort - wenn überhaupt - von den staatlichen Hauptsendern oder Agenturen übernommen.

Wem gereicht dies zum Vorteil? Zunächst einmal nicht den bisherigen Senderbetreibern und den damit verbundenen Arbeitern und Angestellten. Ihr Betrieb hört von heute auf morgen auf zu existieren und das Ausweichen auf internetbasierte Ausstrahlung ist für den Erhalt der Arbeitsplätze unzureichend. Existenzen verlieren ihre Erwerbsgrundlage, während die landesweite Arbeitslosigkeit bereits einen Aufwärtstrend erlebt.
Grösster Nutzniesser ist die politische Bewegung des Präsidenten. Dem Regime unliebsame, in der Bevölkerung mitunter recht populäre Sender gehen off air und wechseln in leicht kontrollierbare, gehorsame Hände. Nachdem die bereits existierenden Staatssender, selbst der TV-Sender TVes mit dem weitreichendsten Sendenetz (zuvor RCTV) ausgestattet, eine geringe Zuschauerquote im einstelligen Prozentbereich erreichen (RCTV vorher ca. 30%), wird durch die grosse "Säuberungsaktion" der freie Sektor noch weiter beschnitten. Offenbar will man den Zuschauer durch Medienmonopolisierung die Alternativen zum regierungskontrollierten Sendeprogramm entziehen. Schliesslich wollen die Staatlichen auch gesehen werden. Unter Demokratisierung muss hier wohl die Zerstörung der Vielfalt zugunsten eines staatlichen Mediengroßgrundbesitzes verstanden werden.
Nach der Übernahme der geschlossenen Sender beträgt die Zahl der direkt oder indirekt regierungskontrollierten Medien 572. Darunter 6 TV-Sender, 2 landesweite Radiosender, eine eigene Nachrichtenagentur, ca. 270 Radiosender, ca. 70 Zeitungen, 2 Telekomfirmen, zahllose Webseiten...

Fast zur gleichen Zeit erschüttert ein Vorschlag zu einem neuen Mediengesetz die Öffentlichkeit. Bundesanwältin Díaz stellt in der Asamblea Nacional (AN) einen unverbindlichen (weil keine Gesetzesinitiativenbefugnis) Entwurf vor, der hier übersetzt zu finden ist. Darin wird ein medienbezogener Straftatbestand so weit und ungenau gefasst, dass willkürlicher Zensur und Verfolgung Tür und Tor geöffnet würden. Es werden Gefägnisstrafen formuliert u. a. für jene, die ein "falsches Bild der Tatsachen" präsentieren, Medienbesitzer werden haftbar für die Äusserungen der Gäste/Interviewpartner gemacht, der Identitätsschutz der Informanten und Quellen wird auch strafbar usw. Wer die Paragraphen überfliegt, wird sich schnell der bedrückenden und orwellschen Natur des Dokuments bewusst. Interessant wäre auch, ob die strengen Masstäbe auch auf die Staatssender zuträfen, da gerade sie ja äusserst parteiisch und hetzend berichten (laut § 11 strafbar). Zwar ist das im Text vorgesehen ("staatlich oder privat"), eine gleichmässige Anwendung des Gesetzes für oder gegen jedermann ist allerdings schon lange nicht mehr üblich in Venezuela....

Die Welle der Empörung über den 17 Paragraphen umfassenden Entwurf, der zuerst noch breit durch Revolutionsvertreter begrüsst wurde, hat nun selbst innerhalb des Chavismus zu Ablehnung geführt. In der Zwischenzeit rudert auch die AN in der Sache zurück und schliesst die Übernahme in einen formellen Entwurf seitens des Parlaments aus, einige fordern den Rücktritt der Bundesanwältin und machen die Dame somit zu dem Sündenbock eines fehlgeschlagenen, aber für die bolivarische Revolution notwendigen Projekts, nachdem die Entrüstung auch international zu hören war. Reporter ohne Grenzen verurteilt das Vorgehen der venezolanischen Führung, die International Association of Broadcasting (AIR/IAB) leht den Eingriff in die Meinungsfreiheit ab und verlangt die Durchsetzung der Interamerikanischen Demokratischen Charta (der OAS) auf.
Und während sich die Befremdung in der Person der Bundesanwätlin konzentriert, integriert die AN wesentliche Punkte aus dem verwerflichen Gesetzesvorschlag in einen anderen Text, das neue Bildungsgesetz, welches nun im Eilverfahren durchgewinkt wird. Darin werden nicht nur Straftatbestände für die (vermeintlich freie) Meinungsäusserung definiert, sondern dem Staat auch eine zentrale Planungsrolle für Ausbildung zugesprochen. Die freie Wahl des Studiums oder der Ausbildung könnte auch bald wegfallen. Vielleicht war der Auftritt von Frau Díaz vor dem Parlament ein Ablenkungsmanöver und Frau Díaz selbst möglicherweise bald ein notwendiges Bauernopfer.

Die beschriebenen Massnahmen deuten erneut an, wie die Intensität der Autokratisierung mit totalitärer Färbung durch das Regime Hugo Chávez seit Beginn des Jahres weiter zugenommen hat. Die Wahlerfolge der revolución werden immer knapper, sie verlor bereits im letzten Herbst einige Bundesstaaten und Gemeinden. Das durch die spärlicher fliessenden Öleinnahmen auseinanderfallende politische Projekt, das nie auch nur einen Funken Nachhaltigkeit entwickelt hat, macht auch langjährige Anhänger zunehmend skeptisch. Natürlich ist es da ein strategisch logischer, wenn auch undemokratischer Schritt, die durch freie Medien stattfindende Kritik an den Zuständen durch die Schliessung von Sendern zu begegnen und durch dubiose Initiativen die Meinungshegemonie der Regierungspartei zu sichern.


Good night, and good luck
(E. Murrow).

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