Von einer Bananenrepublik ohne Bananen und mit viel Erdöl

Venezuela

Sonntag, 8. März 2009

Demontierte Demokratie, verratene Verfassung

Präsident Chávez, gescheiterter Putschist des Jahres 1992, kam durch die Präsidentschaftswahl von 1998 mit den demokratischen Mitteln der Republik an die Macht. Schon früh, man möchte sagen: voreilig zum Helden und Befreier stilisiert, widmet er sich nun mit zunehmender Härte der Umstrukturierung der Republik und lässt sich von verfassungsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Schranken nicht aufhalten. Seine willigen Helfer in der Asamblea Nacional (AN), dem Parlament, das seit dem Wahlboykott der Opposition fast nur aus chavistas besteht, führen durch ihre Handlungen dazu, dass dieses Staatsorgan treffender als "Büro zur Durchführung legislativer Angelegenheiten des Präsidenten" zu bezeichnen ist.
Chávez wurde oft als vollendeter Demokrat bezeichnet, weil er sich bereitwillig so vielen Abstimmung gestellt hat. Bis er begann, sie zu verlieren.


Zentralisierung eines Föderalstaates

Die geltende Verfassung von 1999 definiert Venezuela in Artikel 4 und Artikel 6 als Estado Federal und descentralizado. Gegen diesen Grundsatz geht das Regime mit ungesetzlichen Mitteln jetzt vor. Es passt jetzt nicht in das Konzept, das "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" genannt wird und in Wirklichkeit die Konzentration der Macht in der Person des Präsidenten anstrebt und daher auch die Entmachtung der durch Wahlen legitimierten Landesregierungen bedeutet. Politische Konkurrenz zum übermächtigen Ejecutivo Nacional ist nicht erwünscht.
In den Kommunalwahlen Ende 2008 errang die Opposition die Mehrheit in den bevölkerungsreichsten Staaten und Städten. Darunter vier der fünf Hauptstadtbezirke und das Oberbürgermeisteramt von Caracas, das durch Tourismus prosperierende Nueva Esparta, Zulia, Táchira, Miranda (der dichtbevölkerte Hinterhof der Hauptstadt) und das wirtschaftlich starke Carabobo. Im Vergleich zu den vergangenen Wahlen zeigt sich hier, dass die Ballungszentren zunehmend mehrheitlich oppositionell geprägt sind. Die ärmeren und ländlichen Staaten sind weiterhin mehrheitlich "regierungsrot".

Die Enteignungswelle, die der Präsident in den vergangenen Wochen losgetreten hat, betrifft nun nicht mehr nur privates Eigentum (Schlüsselindustrien), sondern greift nun auch auf die Einrichtungen der Bundesstaaten über. So dekretierte der Präsident (wie sollte es anders sein: in der letzten sonntäglichen TV-Show) die militärische Besetzung der grossen Flug- und Seehäfen einiger Bundesstaaten. Leisteten die örtlichen Autoritäten Widerstand, seien diese "gefangenzunehmen" (man beachte die militärische Vokabel). Es ist natürlich kein Zufall, dass es genau die oppositionell regierten Bundesstaaten trifft. Nachträglich segnet das Marionettenparlament Gesetze ab, die u. a. die Kompetenzen für Häfen, Flughäfen, Autobahnen und Landstrassen der Landesverwaltung entziehen und der Zentralverwaltung unterstellen. Sowohl die Besetzungen als auch das formulierte Gesetz widersprechen der Verfassung mindestens schon in Artikel 164 (obige Einrichtungen sind exklusive Länderkompetenz). Gesundheitsversorgung, Energie-, Wasser- und Telekommunkationskompetenzen wurden bereits der Zentralmacht untergeordnet.
Unter den besetzten Einrichtungen befinden sich einige der wichtigsten Häfen und Flughäfen des Landes (z. B. Puerto Cabello, Maracaibo). Wenn ihre Unterstellung unter die zentrale Herrschaft von so grosser Bedeutung ist, warum findet dieser Transfer ausgerechnet jetzt statt und nicht schon zu den Zeiten, in denen die Regierungsparteigänger die betroffenen Bundesstaaten regierten? Vergessen wir nicht, dass der Präsident seine Freunde und Getreuen allzu gern zu Nutzniessern solcher einkünftegenerierender Strukturen macht. Einrichtungen cháveztreuer Bundesstaaten wurden weder besetzt noch eingezogen.


Verfasser und Verräter der Constitución

Innerhalb weniger Wochen im Amt, gelang es dem Oppositionsbürgermeister von Caracas und anderen nicht-chavistischen Gouverneuren, Projekte zur Verbesserung der Lebensqualität anzuschieben, die ihnen wachsende Beliebtheit einbringen. So wurden beispielsweise in Caracas mit Erfolg einfache aber wirksame Massnahmen (für Bürger überwiegend auf freiwilliger Basis ohne Sanktionen durch die Verwaltung) konzipiert, um den Verkehrsinfarkt aufzulösen (Via Libre, Canal de contraflujo). Chávez, bestrebt sämtliche Erfolge sich selbst zurechnen zu lassen, passt überhaupt nicht, dass ausserhalb seines Gestaltungsbereichs etwas gelingt. Um dagegen anzugehen, setzt er sein Durchwinkparlament in Bewegung. Mit schrecklichem Ergebnis.

Die AN verabschiedet ein Gesetz, das den Präsidenten ermächtigt, einen Gouverneur für den Hauptstadtdistrikt zu ernennen. Dieser stünde in Rang und Befugnissen über dem Oberbürgermeister, der bisher die oberste Exekutivinstanz darstellt. Diese vermeintlichen Demokraten streben also an, die Kontrolle des Distrikts durch einen vom Präsidenten ernannten Gouverneur auszuüben, während das Volk in den Kommunalwahlen sein Stadtoberhaupt eindeutig gewählt hat. Die demokratisch zu legitimierende Natur der Regierung des Hauptstadtdistrikts ist durch die Verfassung ausdrücklich vorgegeben (Artikel 18). Von dem Willen des Volkes, der Verfassung, Wahlen und ihrem legitimierenden Charakter halten die Abgeordneten offenbar nichts, wenn ihr Ausgang ungünstig ist. Besonders pikant erscheint hier ausserdem die inoffizielle Absicht, gerade den Chávez-Kandidaten zum Gouverneur von Caracas zu machen, der in der letzten Bürgermeisterwahl dem nun amtierenden Oppositionellen unterlag. Ein abartigeres Beispiel für verfassungswidrige "Einzelfallgesetzgebung" dürfte derzeit schwer zu finden sein.

Dies bleibt nicht der letzte Streich der Abgeordneten (von denen eine kleine Fraktion bereits in die Opposition gewechselt ist):
Für August 2009 sind plan- und gesetzmässig Gemeindewahlen angesetzt. Der gesetzlich vorgegebene Turnus beträgt vier Jahre. Am vergangenen 15. Februar fand eine vom Präsidenten initiierte, offziell auf Betreiben der AN erfolgte, Volksabstimmung zur Verfassungsänderung statt (die Verfassungsänderung hin zur Möglichkeit der unbegrenzten Wiederwahl der Exekutive erreichte 54% Zustimmug). Der neue Vorschlag der regierungstreuen Abgeordneten: Die Gemeindewahl von 2009 auf 2010 zu verschieben, weil dem wahlberechtigen Volk das häufige (also in diesem Jahr zweimalige) Wählen nicht zuzumuten sei. In 2010 finden aber schon die Parlamentswahlen statt. Dies hiesse ja, wieder zwei Wahlen in einem Jahr abzuhalten, die zudem laut Gesetz nicht verbunden werden dürfen. Die erdachte Lösung? Einfach die Parlamentswahlen auch um ein Jahr hinausschieben und in 2011 stattfinden lassen. Bananenrepublik at its best.
Eine solche Verschiebung ist gesetzlich nicht zulässig (in Artikel 192 gibt die Verfassung z. B. klar die Mandatsperiode der AN vor). Die Kreaturen des Präsidenten verlängern also entgegen geltenden Gesetzen und Verfassung, die chavistische Abgeordnete maßgeblich mitformuliert haben, nicht nur die Amtszeit der Gemeinderäte, sondern sogar ihr eigenes Mandat ohne Mandat. In diesen Zeiten, in denen die Oppositionskräfte immer grösseren Zulauf erfahren, ist dies eine recht bequeme Art, die für das Regime günstigen Mehrheitsverhältnisse noch eine Weile zu erhalten. Wer Wahlen verschiebt, fürchtet sich vor ihrem Ausgang.

Die zustimmenden Abgeordneten fallen dem von ihnen anfänglich mitgeschaffenen demokratischen System in den Rücken. Das Urteil über sie kann nicht anders als folgendermaßen ausfallen:
Verwenden diese Volksvertreter bewusst und vorsätzlich solch ungesetzliche und undemokratische Mittel, um den Geist der Verfassung auszuhebeln, sind sie Verräter. Sie verraten den Wählerauftrag, die Verfassung zu schützen und ihr Mandat nicht dazu zu verwenden, die vom Volk ausgehende Souveränität zu missachten.

Chávez weht ein immer stärkerer Wind entgegen. Da durch wegfallende Öleinnahmen die Strategie von Brot und Spielen nicht fortgesetzt werden kann, tritt er nun die Flucht nach vorn an und zementiert zügig seine Herrschaft. Gesetze und der Wille des Volkes erscheinen ihm dabei immer öfter lästig. Die Republik der Constitución existiert nicht mehr. Der Staat ist immer stärker von Parteidenken durchdrungen, die Gewaltenteilung aufgelöst. Die Regierungspartei ist der Staat und das Parteibuch die Verfassung.

Dienstag, 3. März 2009

Revolución, intervención y la economía

Sonntag, den 28. Februar 2009 ordnete Präsident Chávez während einer der ständigen und langen "Präsidentenshows" die intervención einiger privatwirtschaftlicher reisverarbeitender Werke an. Ausserdem stellte er in Aussicht, die Eigentümer der Werke ohne mit der Wimper zu zucken zu enteignen, sollten sie ihre Produktion nicht "korrigieren". Die Intervention ist nichts anderes als die dreimonatige Besetzung des Werks durch Vetreter des für Landwirtschaft zuständigen Ministeriums, den Leiter des Indepabis (Instituto Nacional para la Defensa de las Personas en el Acceso a los Bienes y Servicios), einer Art Über-Verbraucherschutzorgan, in Begleitung einer Abteilung bewaffneter Soldaten der Nationalgarde und der eigenmächtige Eingriff in die Produktionsabläufe. Der angeführte offizielle Grund: Die Reisverarbeitung widerspreche gesetzlichen Vorgaben bezüglich Art und Menge des verarbeiteten Grundnahrungsmittels und führe zu seiner Verknappung.

Das erste betroffene Fabrik war das Primor-Werk, das als Eigentum von Alimentos Polar zum einheimischen Polar-Verbund gehört (entstanden aus der Traditionsbrauerei, die das Nationalbier herstellt). Dass es gerade Polar getroffen hat, ist kein Zufall und keine Überraschung. So war dieses Unternehmen in den letzten Jahren in der Lage, trotz widriger (wirtschaftspolitischer) Umstände, profitabel zu operieren. Die vielen staatlich geführten Konkurrenzunternehmen vermochten und vermögen dies überwiegend nicht. Am folgenden Tag wurde nach dem selben Schema noch ein grosses Werk der Firma Mary besetzt.

Die Rechtmässigkeit des Eingriffs als solches und die seiner Art ist, basierend auf der vagen Berufung auf die Pflicht zur Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung der Bevölkerung, ohnehin fraglich. Leider passt es in die von der Regierung Chávez bekannten Vorgehensweise: martialische Sprache und starke Aktionen. Die staatlichen - aber anders als in Deutschland nicht regierungsunabhängigen - Medien verkaufen die Vorgänge als Schlag gegen die verschwörerische wohlhabendere Schicht privater Unternehmer, die zu Verknappung und Nachschubproblemen führen. In Wirklichkeit kaschieren sie nur eine Schieflage, die die Wirtschafts- und Entwicklungspolitik der Regierung selbst herbeiführt.
Die Sicherstellung der ausreichenden und angemessenen Versorgung des Volkes mit Grundnahrungsmitteln hat die jetzige Regierung in der Vergangenheit zum einen über fixierte Höchstpreise und zum anderen über in unregelmässiger werdenden Abständen veröffentlichten geforderten und verbindlichen Produktionsquoten (wer vernimmt hier sonst noch den Klang sozialistischer Planwirtschaft?) reguliert - und macht damit vieles schlimmer.

Der genaue Vorwurf gegenüber Primor lautete: Das Werk würde zum grössten Teil arroz saborizado, aromatisierten Reis produzieren, der von der Preisregulierung ausgenommen ist, statt den "vom Volk gewollten" preisregulierten arroz blanco, den weissen Basisreis, welcher einen sehr niedrigen Höchstpreis hat. Das Werk weigere sich somit, den Reis zu produzieren, der nachgefragt werde, der Reis, den die Venezolaner täglich auf ihrem Teller pabellón criollo (Nationalgericht aus Reis, Fleisch und schwarzen Bohnen) haben wollen. Das Volk sei also durch die Privaten gezwungen, den nicht regulierten, teuereren Reis zu kaufen. Halten wir das nochmal fest: Die Privaten produzierten also aus lauter Bosheit und Gier entgegen der Nachfrage und führten Knappheit herbei. Mir ist kein Fall der Wirtschaftsgeschichte bekannt, in dem das funktioniert hätte...
Dies träfe möglicherweise zu, wenn das private Reisangebot wesentlich für den Markt wäre - ist es aber nicht. Primor beispielsweise deckte zu dem Zeitpunkt 6% der Reisnachfrage ab. Die staatlich geführten Reisfabriken hingegen decken knapp 50% des Marktes ab. Und welches gewinnorientierte private Unternehmen produziert, was es nicht absetzen kann?
Es sei daran erinnert, dass die Regierung in den letzten Jahren hoher Ölpreise und damit verbundenen reichlichen Einnahmen bereits beträchtliche Teile der Wirtschaft verstaatlicht hat. Dabei hat sie mit der gefüllten Kriegskasse Unternehmen ihren Besitzern abgekauft. Heute, ohne die vielen Mittel zur Verfügung, fehlt es offenbar an den finanziellen Ressourcen, Privatunternehmen durch Kauf zu verstaatlichen, so dass man einfach zum kostenlosen Mittel der Enteignung zurückgreifen muss. Da diese Vorgänge aber nicht die benötigte gerichtliche Rückendeckung besitzen, handelt es sich um illegale Konfiskationen.
Welch verheerende Auswirkung das auf die Verlässlichkeit die garantierten wirtschafltichen Entfaltungsrechte des Einzelnen und v. a. auf Anreize für dringend zu tätigende Investitionen hat, muss nicht weiter ausgeführt werden.

Alimentos Polar protestierte und suchte Zuflucht beim Obersten Gerichtshof, dem Tribunal Supremo de Justicia (TSJ) vor dem ungesetzlichen und verfassungswidrigen Vorgehen des Regierungsapparats (da die obersten Richter ebenfalls Geschöpfe des Präsidenten sind, dürfte hier kein Erfolg zu erwarten sein). Die Unzulässigkeit des Eingriffs entsteht durch die unrechtmässige Art und Weise, die quasi-militärische Besetzung privaten Eigentums in einem - zumindest noch auf dem Papier bestehenden - Rechtsstaat und ausserdem auf die fehlende gesetzliche Rechtfertigungsgrundlage für einen (wie auch immer gearteten) Eingriff.
Die für den aktuellen Zeitraum verbindlichen Produktionsquoten waren zu dem Zeitpunkt der Besetzung noch nicht veröffentlicht worden, so dass Polar keine Referenzquote verfolgen konnte und musste. Die Regierung hat dies drei Tage später per Bekanntmachung (betreffend 12 Grundnahrungsmitteln) in der Gaceta Oficial (vergleichbar dem Bundesanzeiger) getan - 80% der Reisproduktion muss aus preisreguliertem Reis bestehen. Sie hat also die gesetzliche Grundlage für den Vorwurf und Eingriff nach der Tat für verbindlich erklärt. In einer Bananenrepublik sind die Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit eben etwas anders...
Tatsächlich wurde durch das besagte Werk bis zum Eingriff überwiegend der unregulierte aromatisierte Reis hergestellt. Dies resultiert aber v. a. aus dem Mangel an geeignetem Rohreis. Dieser wiederum entsteht durch den Rückgang der Reisproduktion insgesamt. Und dieser Rückgang der einheimischen Produktion lässt sich darauf zurückführen, dass die fixierten Reispreise den Anbau und die Verarbeitung unattraktiv machen: Die meisten Preise wurden seit über einem Jahr oder länger nicht angepasst, während die Inflation im gleichen Zeitraum über 30% betrug. Die Verbände der betroffenen Wirtschaftszweige fordern schon seit langem eine Anpassung der Höchstpreise. Zusätzlich hat die Regierung riesige Mengen billigen Reis importiert und den dämpfenden Effekt auf die inländische Produktion damit verstärkt.
Die privaten Produzenten, die im Gegensatz zu ihren staatlich geführten Wettbewerbern mindestens kostendeckend abeiten müssen, haben also im gesetzlichen Rahmen ihre Herstellungsprozesse so gestaltet, dass sie weiterhin exisiteren können. Die festgelegten Verkaufspreise für verarbeiteten Basisreis liegen mittlerweile unter den Herstellungskosten, sogar unter den Einkaufspreisen für Rohreis.

Der wirkliche Grund für diese recht schäbige Machtdemonstration liegt woanders:
Viele Produzenten von Rohreis erhalten Subventionen und günstige Kredite vom Staat. Im Gegenzug sind sie gezwungen, ihren Paddy-Reis an die staatlichen Verarbeitungs- und Vertriebskorporationen zu verkaufen (diese decken 70% der Distribution ab). Die den Markt beherrschenden regulierten Reis herstellenden staatlichen Korporationen arbeiten offenbar dermassen ineffizient und intransparent, dass in den staatlichen Mercal-Läden Nachschubprobleme auftreten. Immer mehr Regale leeren sich und bleiben leer. Die Verantwortung für den Mangel müsste eigentlich in dem staatlich gelenkten Sektor zu suchen sein. Damit dies nicht passiert und um die Aufmerksamkeit auf andere zu lenken, wird an vermeintlich "volksfeindlichen", aber vergleichsweise weniger bedeutenden Privaten ein Exempel statuiert, weil diese nicht freiwillig bereit sind, verlustbringend herzustellen. Dies dient als deutliche Warnung, sich der angestrebten zentralen Lenkung der Wirtschaft zu unterwerfen.
Aus der in der Vergangenheit als Reis-Exporteur (und andere Feldfrüchte) bekannten Republik ist seit der staatlichen Kontrolle des grössten Teils der Reisproduktion mittlerweile ein Reis-Importeur geworden. Die vormalig für den einheimischen Verbrauch an Grundnahrungsmitteln ausreichende Produktion einer Vielzahl von Gütern kann den konstanten Bedarf nicht mehr decken. Auch Fleisch und Bohnen müssen, so wie Reis, importiert werden. Das absurde Ergebnis: Der pabellón criollo besteht überwiegend aus nicht in Venezuela angebauten und verarbeiteten Zutaten.

Update:
Ohne Vorwarnung verkündete der Präsident (wieder in einer Präsidenten-TV-Show) die sofortige und vollständige Enteignung des Unternehmens Cargill. Cargill verfügt landesweit über 13 Werke und produziert ein breites Sortiment an (überwiegend, aber nicht nur) Grundnahrungsmitteln. Im gleichen Zug warnt er Polar nochmals eindringlich, sich vorzusehen. Vor einer komplette Enteignung würde er sich auch hier nicht aufhalten lassen, um die Grundversorgung des Volkes dadurch zu gewährleisten.

Etwas seltsam klingt der Vorwurf der privatwirtschaftlich verursachten Verknappung der Grundnahrungsmittel und der aus diesem Grund stattfindenden Eingriffe dann doch, wenn gleichzeitig von der Regierung verkündet wird, es befänden sich noch reichlich Vorräte für mindestens drei weitere Monate in den Silos (die Sommerernte würde den Bestand dann noch mehr als verdoppeln). Dies und die Tatsache, dass gerade die staatliche geführten Nahrungsmittelwerke den Markt dominieren, widersprechen ja dem Gespenst des privatwirtschaftlich verursachten Angebotrückgangs. Der Verknappungsvorwand scheint wohl genau das zu sein - ein Vorwand.

Die Ineffizienz der Staatsbetriebe und die Vernachlässigung von wichtigen Investitionen ist auch in anderen Sektoren zu spüren. Als weiteres Beispiel soll hier die Situation der Corporación Venezolana de Guayana (CVG) genügen:
Das vorwiegend auf den Abbau von mineralsichen Bodenschätzen ausgerichtete Konglomerat von Staatsbetrieben befindet sich in einer finanziellen und operationellen Krise. Die Regierung führt dies auf die fallenden Weltmarktpreise für mineralische Rohstoffe zurück. Die Ausführungen von Andrés Velasquez, Gewerkschafter und ehemaliger Gouverneur des Bundesstaates, in dem CVG operiert, zeigen weitere signifikante Punkte auf.
So muss Venezuela, eigentlich Exporteur von Aluminium, jetzt diesen Rohstoff importieren, weil die Bauxitverarbeitung stillsteht - den Maschinen fehlt es seit geraumer Zeit an Schmieröl.
In den letzten zehn Jahren (so lange regiert Chávez) hatte die CVG ebenso viele verschiedene Direktoren. Die Schuld an dem Missmanagement trifft somit zu wesentlichen Teilen Hugo Chávez, der die Direktoren des CVG ernennt. Ferner wurden wichtige Mordernisierungsinvestitionen nicht getätigt. Die Aluminiumherstellung ist weitgehend eingefroren und beschädigte Produktionseinheiten werden nicht ersetzt.
Selbst die Arbeiter, die, folgt man der Rhetorik der Regierungsbank, dieser besonders am Herzen liegen müssten, leiden unter der Krise. Da sich CVG mit den Beitragszahlungen an die Krankenversicherungen im Rückstand befindet, weigern sich die Versicherungen, die medizinische Behandlung der versicherten Arbeiter zu bezahlen. Gleichzeitig, so Velasquez' Vorwurf, verschwendet man Zeit und Ressourcen durch Training mit Sprengstoffen für den Fall eines "asymmetrischen Krieges" (Hugo Chávez malt ständig das unrealistische Bild einer US-amerikanischen Invasion an sämtliche ideologischen Wände) oder "Sozialismus".
Letzteres ist Teil eines kubanisch-venezolanischen Abkommens, das "Training" gegen Aluminiumlieferungen vereinbart. Kuba besitzt allerdings nicht über die industriellen Anlagen zur Verarbeitung des Aluminiums und verkauft dieses Geschenk vermutlich mit hohem Gewinn und auf Kosten Venezuelas weiter.

Durch das rabiate Vorgehen im Falle der privaten Nahrungsmittelwirtschaft und die Vernachlässigung wichtiger nicht-erdölbezogenen Industrien droht das Regime sich in absehbarer Zeit selbste den Ast abzusägen, auf den es sich aus populistischen Gründen stützt.
Unternehmen müssen gemäss den staatlichen Vorgaben - also allzu oft verlustbringend - operieren. Jene, die sich weigern oder sonstwie nicht genehm sind, werden enteignet. Viele Privatunternehmer in Venezuela haben also nicht die Entscheidungsfreiheit, wie sie ihr Geschäft betreiben können, sondern lediglich die Wahl, ob sie sich in die staatlich verordnete Insolvenz wirtschaften oder gleich durch eine Enteignung ruiniert werden. Unter diesen Umständen wird niemand einen Anreiz empfinden, sich (auf welchem Niveau auch immer) unternehmerisch zu betätigen.
Wenn der private Sektor zur Bedeutungslosikeit verkrüppelt ist und die ineffizienten und von Korruption durchdrungenen Staatsbetriebe das Wirtschaftsgeschehen noch stärker dominieren, wen soll die Regierung dann im Falle von Knappheit als Sündenbock bezeichnen? Egal auf welchen Teil der Volkswirtschaft sie den Finger dann richten mag, wird sie damit doch letztlich auf sich selbst zeigen.